Der neue Purismus

Wir essen keine Tiere mehr und nichts, was von ihnen stammt. Das ist im Ansatz gut, wenn es denn auch immer einfach darum ginge. Achja, und es ist auch cool, immer ein bisschen unter dem Gesundgewicht zu sein, denn Essen im Allgemeinen ist überbewertet.  Oh, Du isst noch? das vergeht! Dicke sind fürchterlich, und keine Angst – die Raucher haben wir schon eingesackt – im Namen der Gesundheit – versteht sich.

Wir zelebrieren das „no sex until marriage“. Warum eigentlich? Es ist natürlich, mit 14, 15 oder 16 Jahren seine Sexualität zu entdecken. Stimmt, ja, weil es cool ist, weil es Gott ist (oder Allah oder wie sie alle heißen), sich zu enthalten. Wer das ist, wissen wir nicht so recht, denn wir haben keine Zeit uns mit religiösen Details auseinanderzusetzen. Ein paar Floskeln müssen da genügen. Jesus loves you! Wenigstens reicht das, um dem anderen ein schlechtes Gewissen machen zu können. Und Sex ist ja auch sowas von Tier, verlieben ein biochemisches Gedöns. Sexisten! Euch knöpfen wir uns gleich nach den Dicken vor.

Wir vertragen nur noch ein paar wenige Lebensmittel, wir haben Allergien. Das ist schlimm, aber auch ohne all das entsagen wir gerne der Zucker- und Lactosefalle, denn Brot macht dumm, Zucker ist Lobby, Weizenesser sind von vorgestern und Fleischfresser gehören eh auf den Schlachthof. Da verwöhne ich lieber meinem Schäferhund. Der Mensch zählt nichts mehr, wenn er sich nicht so verhält, wie vegan oder antizucker oder lactosefrei oder ovolacto es will. Es lebe das Tofu. das beschwert sich wenigstens auch nicht, wenn wir tagtäglich diese ganzen Traktate ungefragt in Facebook, Twitter, unsere Betroffenheitsblogs oder in persönliche Gespräche werfen, ohne, dass es je gefragt war, gefolgt von dem mitleidigen Blick, der denen gilt, die noch so Pleistozän sind und leben.

Wir glauben, die Welt besser zu machen, in dem wir unser gesamtes Umfeld über unsere Verzichtsphantasien informieren. Wie, Du spielst noch Computerspiele? Da gibt’s Studien, keine Ahnung, wo wir das gelesen habe und wer die fabriziert hat, ist aber auch nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass sie das bestätigen, was wir denken und fühlen.

Und darauf kommt’s an: Wir sind wieder wer, auch und gerade, wenn wir keinen Spaß an irgendetwas haben. Den haben wir sowieso nicht. Dann wenigstens mit Eifer. Es ist die neue Religion, der neue Purismus, den wir weniger aus Überzeugung, als aus diesem latenten Mangel an Inhalt heraus inszenieren. Da ist es schon gleichgültig, was und wem wir entsagen. Hauptsache wir entsagen. Und der Putin mit seinem Russland kommt uns da gerade recht. Da mangelts ja auch an allem. das macht sympathisch.

Jetzt würde ich ja gerne noch weiterschreiben, aber ich muss mal kurz was genießen.

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