Wir nennen es Gesellschaft
Das römische Reich scheiterte an der spätrömischen Dekadenz, so sagt man. Und auch andere sogenannte Hochkulturen, die es einst weit brachten, gingen an ewigem Gezänke, sprich Kriegereien, oder wahlweise selbstgemachten ökologischen Krisen zugrunde. Vielleicht aber erging es Ihnen ähnlich wie uns. Vielleicht teilten sie sich auch in Ihre Bestandteile auf und aus der einst homogenen Masse (wir nennen es Gesellschaft) wurde ein vielschichtiges Gemenge, dass sich einfach nicht mehr vermischen wollte und an dieser Trennung schlicht erstickte?
Wir werden vielleicht aus ganz ähnlichen Gründen früher oder später den Betrieb einstellen, was freilich nicht heißt, dass die Welt untergeht – hierin liegt wohl sowieso das große Missverständnis unserer Spezies.
Ob das Gebaren des russischen Präsidenten oder des bayerischen Fußballpräsidenten oder das der Feministin Schwarzer. Gleich was sie tun, sie tun es alle plötzlich (mehr oder minder) öffentlich, sicher nicht freiwillig, aber wenn es denn schon mal in der Öffentlichkeit ist: Bitte! Auf zum Gegenangriff, zur Gegenanzeige, ja sogar zur ich-bin-jetzt-auch-Opfer-Haltung. Es scheint ihnen nicht mehr allzu peinlich zu sein, höchstens noch unangenehm. Sie achten nicht mehr darauf, ihr Unwesen streng unter irgendeinem Deckmäntelchen zu halten und – Putin sei der Meister der Farce – es ist ihnen völlig gleichgültig, dass sie sich zum Hanswurst mit ihrem Auftreten machen, weil sie wissen, dass ihnen nichts passiert, zumindest nichts, was ihre Karriere nachhaltig beeinflussen könnte.
Sich darüber zu echauffieren ist wenig sinnvoll, denn in den Kreisen Politik, Wirtschaft und *hüstel* (na gut, Teilen der) Justiz wird konsequent auf Augenhöhe gehandelt und somit wenig unberechenbar für die Zugehörigen Personen. Eine Volk, dessen Justiz, wie im Falle Mollath geschehen, einen Menschen wegsperrt, der Politik und Wirtschaft scheinbar unbequem wird, muss nicht nach Russland schielen und den Zeigefinger dorthin ausstrecken.
Doch wie steht es denn um die Mehrheit dieses Landes, also um das Volk selbst? Die einen jubeln sogar noch ihrem Fußballpräsidenten zu, stehen ihm „in diesen schweren Zeiten“ bei. Mia san eben mia! Die andere Hälfte scheint resigniert. In der Chaosforschung nennt man das „Trendzyklen“. Das bedeutet, das im Grunde nichts mehr passiert, was der Änderung der Situation, der Entwicklung der Gesellschaft zuträglich wäre, weil die große Masse aufgehört hat, sich aufzuregen.
Für „die da oben“ scheint das eine angenehme Situation zu sein. Im ersten Moment ist das wohl auch so. Doch langfristig führen eben solche Trendzyklen zum Stillstand, in diesem Falle zum gesellschaftlichen. Oben wird durchregiert, unten wird eine Parallelgesellschaft aufgebaut, die nach oben nickt und dann unten ihr eigenes Süppchen kocht. Dazwischen der – Yes! – Mittelstand, der sich irgendwie alles ganz gut leisten kann, der Meinung ist, auch noch mitmischen zu können, bis er dann doch irgendwann nach unten rutscht, weil auch er nur Erfüllungsgehilfe ist.
Eine Gesellschaft also, die zum einen Teil genug Geld verdient, um sich die Wohnung in Innenstadtlage und das Einkaufen im Biosupermarkt leisten kann, um sich dann gemeinsam darüber zu wundern, warum die einst so lebendige und kreative Stadt, in die sie für teures Geld genau deswegen gezogen ist, so langweilig geworden ist, so berechenbar, so oberflächlich. Der andere Teil der Gesellschaft schlägt sich eben so durch, profitiert von den 0%-Finanzierungen und der „ich-bin-doch-nicht-blöd-Industrie“.
Und alle gemeinsam schlagen sich durchs Dschungelcamp. Dazwischen tummelt sich die Bohème, die sich ja aber zu allen Zeiten keiner dieser Schichten zugehörig fühlte.
Natürlich ist dies ein Zerrbild, denn die Wirklichkeit gestaltet sich immer unendlich vielfältiger. Wenn jedoch der Trend dahin geht, dass der große Teil unserer Gesellschaft aufgrund der übermächtigen Wirtschaft und der ihr folgenden Politik einfach kein Interesse mehr hat, sich selbst zu gestalten, dann verarmen wir. Dann kommt es nur noch hin und wieder zu Protest, der auf allen Seiten ausgesessen wird und dann wird die Luft eben auch oben knapp.
Denn eine Gesellschaft kann nur überleben, wenn viele mitmachen. Ansonsten verwest sie und wird in 1000 Jahren eben auch nur ein belächelter Teil in Geschichts-E-Books sein – neben den Maya und den Römern.
Bild: Smiling business people standing together – © Yuri Arcurs – Fotolia.com
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!