Nachrichtenkrise
Wenn man das Lamento und die geschilderten Apokalypsen betrachtet, die sich ein paar Jahre nach erscheinen des Internets über uns ergossen haben, dann bekommt ein ein Bild davon, wie es Gutenberg bei Einführung seines Buchdruckes gegangen sein muss.
Plötzlich hatten weitaus mehr Menschen als vorher Zugang zu Wissen, das bis dato den oberen Zehntausend vorbehalten war, vor allem den Kirchen. Es konnten nun nicht nur Bücher, sondern auch Flugblätter gedruckt werden. Eine für damalige Verhältnisse blitzschnelle Verbreitung von Informationen war plötzlich möglich. Das war gefährlich, denn natürlich konnten so auch Aufstände in „Windeseile“ formiert werden. Komm bekannt vor? Genau!
Nicht nur, dass wir heute ein noch schnelleres Medium vor uns haben, hinzu kommt die Vernetzung mit allen anderen Medien. Die Geschwindigkeit und die Fülle der Informationen haben längst die Fähigkeiten des menschlichen Verstandes überholt und wenn wir es nicht gut anstellen, dann stehen wir unter permanenten Dauerbeschuss, der um unsere geneigte Aufmerksamkeit buhlt. Denn Informationen sind genau dazu da: uns in Form zu bringen, uns ein Weltbild zu vermitteln mit dem Ziel, es bestenfalls anzunehmen und danach zu handeln. Weißer als weiß, der Islam ist böse und der Neoliberalismus ist gut für jeden.
Selten geht es um Idealismus, meist ist harte Währung im Spiel und freilich eine Menge Macht. Und die Mär der objektiven Informationen ist auch lange zu Ende erzählt, alleine deshalb, weil es immer Subjekte sind, die die Information bewerten und verbreiten und spätestens seit der scheins bewusst falschen Berichterstattung vor der zweiten Intervention im Irak ist auch klar, dass es keine seriöse und unseriöse Presse gibt. Es gibt allenfalls seriös präsentierte Presse.
Insofern ist das Klagen der Printmedien ein (zweckloser) Versuch, die Uhr zurückzudrehen. Das Internet, so ist zu lesen, sei Schuld am Untergang guter Berichterstattung. Die alles-muss-kostenlos-sein-Ideologie der Internetnutzer, so wird weitererzählt, bringt den guten Journalismus zum Erliegen. Mag sein, dass das alles dazu beiträgt, das das Printmedium nicht mehr gelesen wird. Schlussendlich aber haben wir heute viel zu viele Medien, die eine einmal durchs Dorf getriebene Sau immer wieder besteigen, bis auch der letzte keine Lust mehr hat, hinterherzurennen.
Kaum jemand ist noch ernsthaft in der Lage, einer solchen Dauerberieselung standzuhalten, gut von schlecht und wahr von unwahr zu unterscheiden und: Wir haben im Grunde genug mit unserem nächsten Umfeld zu tun, sollen uns aber um immer mehr kümmern, immer mehr beachten, weil angeblich alles, was auch im noch entferntesten geschieht qua Globalisierung doch auch uns betrifft. Der usbekische Frühling, die Unruhen in Kleinkubistan, der Parlamentsstreit in Ostwestasien, alles scheint von uns be- und verarbeitet werden zu müssen. Zumindest sehen die Aufmacher in Zeitungen danach aus.
Nein, wir haben keine Print- und auch keine Internetkrise. Wir haben schlicht eine Nachrichtenkrise, einen Overflow an Dingen, die zu oft gesagt und geschrieben werden und dabei eben auch nicht wahrer werden. Und ja, das Internet mit seiner Echtzeitberichterstattung hat dazu beigetragen, dass wir nicht nur nicht umhinkommen zu erkennen, dass es in der Welt rauh zugeht. Wir müssen all das auch noch verarbeiten. Abschied von liebgewonnenen Idealen, ohne die Lust an dieser Welt zu verlieren ist für manchen eine harte Nuss, die er knacken muss.
Nein, wir haben keine Nachrichtenkrise, wie haben, wenn überhaupt, eine menschliche Krise, die aber seit jeher besteht. Sie wird nur sichtbarer durch das ganze Krisengetue, und dafür kann man den krisengeplagten Printmedien ja schon wieder dankbar sein.
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