Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit
Was waren das für Zeiten, in denen Wahrheit noch wenigstens ein bisschen Wahrheitsgehalt in sich trug. Zeiten, in denen der liebe Gott genauso wahr war, wie die Diagnose des Arztes, in denen Vitamin C noch gesund war und Fleisch unerlässlich. Zeiten , in denen die Ehe die einzig wahre Institution, zumal vor dem wahren lieben Gott, war und überhaupt niemand so richtig an der Wahrheit gezweifelt hat, ja, nicht zweifeln konnte, denn schließlich hatte er kein 1×20 cm großes Eingabefenster, in das er Stichworte eingeben und dann zigmillionen Einträge finden konnte, die ihm unter Umständen aufzeigten, dass es mit dem Wahrheitsgehalt des entsprechenden Suchbegriffes nicht ganz so viel auf sich hatte.
Wahrheit ist seit den vielen Versprechen von Mitgliedern aus Wirtschaft und Politik ein erstaunlicherweise immer noch oft bemühtes aber am Ende ein seltsames Wort geworden.
Wissenschaftler, die Sucher (und Finder ) der Wahrheit, finden manchmal je nach Sponsor oder versprochener Publikation und damit zuteil werdender Ehre mal die eine und mal die andere Wahrheit. Und selbst wenn diese Wahrheit im Augenblick richtig sein sollte, so werden im nächsten Moment von ebenso eifrigen Wissenschaftlern andere Wahrheiten gefunden.
Wahrheiten dienen heute längst nicht mehr nur der Wahrheitsfindung, sondern eher doch der Festigung unserer Meinung, und je nach dem, welcher Gruppierung wir angehören, wird mal diese und mal jene Studie aus dem Hut gezaubert, gibt es dies oder auch jenes Gutachten.
Am Ende siegt, wer die besseren Beziehungen hat oder das meiste Geld. Das war wohl auch entscheidend für das Kippen der Hamburger Schulreform, die eben von vermögenden Reformgegnern angezettelt und bezahlt wurde, die ihre Zöglinge nicht mit dem „doofen Mob“ der anderen vermischt sehen wollten.
Nun, und auch das sei gesagt, gab es solche Vorgehensweisen allerdings auch schon immer. Seit der Mensch einigermaßen gut denken kann (und seitdem vermutlich zu selbigem einfach auch nicht mehr zu gebrauchen ist), spinnt er seine Netze und Netzwerke, vertritt seine Ansichten, formuliert sie als Wahrheiten und hofft, dass die anderen sie glauben.
Ob das allerdings alles wirklich so wahr ist, dafür würde ich mich nun angesichts dieser Worte auch nicht mehr wirklich verbürgen wollen.
Die Wahrheit ist eben eine Tochter der Zeit.
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