Wenn Dogmen gebrochen werden

Neben Macht ist Angst also ein weiterer Mechanismus, der uns ungerne an Dogmen rühren lässt. Wir schließen uns gerne der Theorie an, die die längste Zeit überlebt und die meisten Anhänger hat.

Widersprechen wir einem Dogma, müssen wir damit rechnen, aus unserer bisherigen Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Wer Kommunist ist, bekommt keine Arbeit, wer mehr als zwei Partner hat, ist nicht gemeinschaftstauglich und wer sich nicht schulmedizinisch behandeln lässt, wird von seinem Arzt fallen gelassen. Und alle warten darauf, dass das neue Konzept scheitert um den Überläufer dann gutmenschlich wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen: Das verlorene Schaf ist geläutert zurückgekehrt.

In Manchen Fällen, besonders dann, wenn es um den Verlust von Macht und Geld geht, muss der Überläufer auch um sein Leben fürchten, muss Verleumdungen über sich ergehen lassen und seine Vernichtung, psychisch wie physisch, in Kauf nehmen und das immer vor dem Hintergrund, dass seine neuen Erkenntnisse auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

Wir gehen – auch in unserem alltäglichen Leben – nicht sehr pfleglich mit Querdenkern um. Menschen, deren Lebenskonzept nicht mit dem der großen Zahl übereinstimmt, werden gemobbt, ausgestoßen, verachtet und verspottet. Man hängt Ihnen Geschichten an, um sie systematisch zu erniedrigen und somit zum Widerruf zu zwingen. Hierzu müssen wir unseren Blick nicht auf die „großen“ richten. Wenn nicht bei uns direkt, so wird jeder in seiner direkten Nachbarschaft den Beleg für solche Vorgehensweisen finden.

Dabei sind es immer die Querdenker, die die Welt verändert haben. Vernünftige Menschen können die bisherigen Erkenntnisse gut verwalten, Querdenker können sie ändern. Sie werden jedoch, aus bereits genannten Gründen bestenfalls vermieden, schlimmstenfalls vernichtet. Zu groß scheint unser Drang nach Sicherheit und Erhalt des Erreichten zu sein, zu groß unser Bedürfnis nach Anerkennung, als dass wir dem Querdenken den Raum geben, den es gerade in turbulenter Zeit brauchte.

Und selbst wenn wir all die Schmach in Kauf nähmen, die ein neues Weltbild uns bietet, so bleibt eben immer noch die Unsicherheit darüber, ob eine neues Denken und Verhalten tatsächlich den Erfolg bringt, den man sich erhofft. Heute zu behaupten, die Erde drehe sich um die Sonne erfordert keinen Mut mehr. Kopernikus hatte es da im 16. Jahrhundert schon schwerer. Immerhin glaubte man hauptsächlich, dass die Erde der Mittelpunkt der Welt sei – eine Meinung, die dem christlichen Glauben sehr entgegenkam.  Diese Lehrmeinung, zumal anhand keiner sehr genauen Beobachtungen und eher genauen theoretischen Berechnungen umzustoßen, erforderte eine Menge Mut.

Und so ist es heute wie damals: gegen eine etablierte Meinung anzugehen kann schwierig und gefährlich sein. Da eine neue Erkenntnis per definitionem keine große Anhängerzahl hat und ebenso wenig Beweismaterial geliefert werden kann, ist die Gefahr des Scheiterns groß. Für die meisten Menschen ist das Risiko zu hoch, Neues außerhalb der Lehrmeinungen (religiös wie wissenschaftlich) zu etablieren.

Die großen Konzepte aus Wissenschaft und Religion machen uns deutlich, worum es geht, warum Konzepte erstellt und vor allem auch dann noch aufrecht erhalten werden, wenn sie bereits lange an Gültigkeit, heißt Praxistauglichkeit, verloren haben.

In unserem täglichen Leben sind es nicht die großen Konzepte, die uns selbiges schwer machen. Es sind unsere individuellen Konzepte, die hin und wieder nicht mit dem Übereinstimmen, was wir unter einem zufriedenen, unsere Bedürfnisse befriedigenden Leben vorstellen.

Und so ist es nicht mehr die direkte Macht der Institutionen, die uns bestraft, wenn wir gegen ihre aufgestellten Dogmen verstoßen. Es sind eher wir selbst, die uns immer noch auferlegen, nach den wenigen Konzepten, die wir im Laufe unseres vor allem jungen Lebens gelernt haben, zu leben. Es sind wir selbst, die uns davon abhalten unser Leben nach unserem eigenen Gusto zu leben, statt auf die Konzepte zurückzugreifen, die wir bisher gelernt haben. Es sind immer noch unserer eigenen Glaubenssätze, die wir intellektuell schon lange als unwahr erkannt haben, bei deren Verletzung unser Herz aber immer noch furchtvoll anfängt zu schlagen, um uns zu sagen: „Mach es lieber doch so wie immer, dann passiert dir nichts!“

Zudem sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass sich Irrtümer, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, immer wieder wiederholen werden. Niemand glaubt mehr, dass die Erde eine Scheibe sei. Genauso werden wir in hundert Jahren an viele andere unserer heutigen Wahrheiten nicht mehr glauben.

Dogmen bedeuten also Macht, besonders für diejenigen, die davon direkt profitieren, seien es Gelehrte oder sei es die Industrie, die ihre Produktion darauf aufgebaut hat. Doch auch alle anderen Menschen profitieren von der Aufrechterhaltung eines Dogmas, wenn Sie eine falsche aber dafür sichere und in ihr Weltbild fest integrierte Wahrheit nicht opfern wollen für ein Weltbild, dass vielleicht wahrer aber dafür weniger sicher ist und Veränderung erforderte.

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