Absetzphänomene

Antidepressiva sind Medikamente, die verhindern sollen, dass man depressiv wird. Sie bieten aber auch eine Möglichkeit zu sehen, wie gut man mit Worten Dinge sagen kann, die dann ganz anders verstanden werden, ohne, dass man es anders sagt.

So machen Antidepressiva beispielsweise nicht abhängig. Deshalb hat’s auch keine  Entzugserscheinungen, sondern Absetzphänomene. Und wer sich wundert, dass so viele Amokläufe passieren, dem sei nun ganz offiziell gesagt, dass viele der Amokläufer vorher medikamentiert wurden – genau, mit Antidepressiva. Die, so sagen die Hersteller, erhöhen nämlich zuerst den Antrieb, dann die Stimmung. Ergo, bleibt die Stimmung zunächst mal mies, aber der Antrieb, dem Abhilfe zu schaffen, steigt. Das tun solche Menschen dann auch und bringen sich und/oder eben andere um. Das ist so, als würde eine Hepatitis-Therapie zunächst mal die Leber kaputt machen, und dann erst die Viren, die sie kaputt gemacht hätten, wäre sie eben nicht schon kaputt.

Geliebter Feind

À propos kaputt. Das sind die Menschen in Syrien und anderen Ländern (genau, in denen Lehrer weniger verdienen, als sie hier Hilfe bekommen, glaubt man Herrn Bouffier) ja auch, und zwar so, dass sie lieber zum Beispiel nach Deutschland flüchten, statt sich in der undurchsichtigen Gemengelage den Kopf abhauen oder den Leib mit Kugeln durchsieben zu lassen.

Und da Europa ja seine Grenzen generell nicht mehr so gerne öffnet, also nicht für Menschen, die nur des Geldes wegen (oder wegen dem Geld, genau: der Syrische Lehrer) kommen, müssen die Flüchtlinge andere Wege gehen. Dafür brauchts dann Menschen, die sie rüberbringen und dafür sogar Geld nehmen. Die nennt man Menschenschlepper. Die findet man gar nicht so toll, denn zum einen sollten sie das wohl aus Sicht vieler lieber kostenlos, also für den guten Zweck, machen, und zum anderen bringen die so viele Menschen rüber, die vor allem den Sachsen die eh schon rar gesäten Jobs wegnehmen.

Nepper, Schlepper

Menschenschlepperei gab’s in der Geschichte Deutschlands übrigens auch mal. Also nicht, dass in der DDR tägliche Bombenangriffe gewesen wären, aber angenehm war’s dort auch ohne Bomben nicht. Und da gab’s dann auch Menschen, die andere von A (Ost) nach B (West) für Geld geschmuggelt haben. Die nannte man dann aber nicht Menschenschlepper, sondern Fluchthelfer. Das lag daran, dass zum einen gar nicht so viele Menschen aus der DDR verschleppt wurden und wenn, die ja vom ideologischen Gegner kamen. Da hat man sich noch über jeden „von drüben“ gefreut – so schnell kann’s rum sein.

Das jedenfalls kann man von den Syrern nicht wirklich sagen. Anfangs war da der Gegner ja klar. Mittlerweile aber hat sich Baschar al-Assad gemeinsam mit den anderen gegen den IS verschworen und sich sozusagen weiß gewaschen. Jetzt finden ihn alle dann doch gut, naja, solala, aber besser als vorher, wohingegen wir seine Bürger, die wir vorher ja gut fanden, jetzt gar nicht mehr so gut finden (jaja, der syrische Lehrer).

Drah di net um

Neulich erzählte mir K. (soweit sind wir im übrigen schon, dass wir Namen besser mal unkenntlich machen), die sich in einer Kleinstadt um Flüchtlinge kümmert, dass sie seit vielen Wochen unter anderen einen syrischen Mann betreut, der mittlerweile fast ein halbes Jahr in ihrer Kleinstadt lebt und nun dorthin abgeschoben werden soll, wo er ursprünglich ankam – ins europäische Ausland. Da er allerdings in dieser Kleinstadt schon Freunde und vor allem die Sprache gefunden und gelernt hat, will er das lieber nicht. Also schauen seine Freunde, dass sie ihn oft zu sich einladen, so dass die Polizei ihn so selten wie möglich zu Hause antrifft. In sechs Wochen hat er seine eineinhalb Jahre in Deutschland voll und könnte hier bleiben, bei seinen Freunden und seiner Sprache. Könnte.

Das allerdings ist so einfach nicht, denn zum einen kommt die Polizei am liebsten zwischen 00:00 und 04:00 Uhr (genau, dann schlafen alle schön) und zum anderen besteht akute Gefahr, dass Nachbarn die Flüchtlingshelfer verraten und ihren Flüchtling der Auslieferung preisgeben. Davor wiederum haben die HelferInnen und die Flüchtling Angst. Vor Verrat.

Genau, in solch einer Zeit leben wir. Wir müssen Angst haben, verraten zu werden, und zwar nicht nur von Nachbarn, sondern auch von Freunden. K. hat bereits welche verloren. Weil sie humanitär handelt. Freunden, denen es im Übrigen gut geht.

Es war nie weg

Aus dem Flüchtlingsproblem wird derzeit dann auch ein ganz anderes. Es scheint, dass eine Debatte, die so fürchterlich komplex ist, in eine Richtung läuft, die nur darauf gewartet hat, wieder eingeschlagen zu werden. Die braune Vergangenheit ist wohl durch noch so viele Dokumentationen und Filme nicht aufgearbeitet worden. Erst, weil die Beteiligten es nicht wollten, dann, weil sie es nicht mehr konnten und nun, weil wir glauben, als zweite oder dritte Generation nach dem Naziregime nichts mehr damit zu tun zu haben.

Die braune Gesinnung scheint kein politisches Problem gewesen zu sein, sondern sie ist immer noch ein kulturelles Problem und ein Problem der Deutschen Mentalität. Und genau das müssen wir aufarbeiten. Nichts gewusst zu haben, wegzuschauen, nicht zuletzt, weil man es im tiefsten inneren eben doch gut findet.

Weil man es so gelernt hat, von einer schweigenden Generation, die sich lieber dem Wirtschaftswunder statt ihrer Vergangenheit zuwendete und heute vom Wohlstand nichts mehr abgeben will, von einem Wohlstand, der auch dadurch entstand und entsteht, dass Waffen in die Kriege geliefert wurden und werden, deren Opfer sie nun aufnehmen soll. Oder weil sie (und wir) viele Länder wirtschaftlich übervorteilen, Billiges von dort kaufen, ohne das Geld denen zu überlassen, denen es zustünde.

Die Geister, die wir rufen

Nein, das Problem sitzt in der Tat nicht in den Flüchtlingsboten auf dem Mittelmeer, den Radkästen der Urlaubsflieger und eingezwängt in Koffern oder Kofferräumen. Das Problem sitzt vielmehr in den Aufsichtsräten der Unternehmen, die sich einen Mist darum scheren, was sie mit Ihrer Firmenpolitik anrichten, in den politischen Lagern, die heute Diktatoren die Hand schütteln, um gute Geschäft zu initiieren, um sich kurze Zeit später darüber zu echauffieren, dass es sich um Diktatoren handelt. Es sitzt in Wohnzimmern in Form von Konsumenten, denen es wurscht ist, ob ihre Produkte politisch wenigstens einigermaßen korrekt hergestellt wurden und werden und es sitzt in Clubheimen, in denen sich Menschen mit einer Gesinnung formieren, die nie weg war und um deren Auflösung man sich einfach auch nie wirklich gekümmert hat.

Ja, das Flüchtlingsdrama muss gelöst werden, das steht außer Frage. Aber wohin sollen wir denn die ganzen Rechtsradikalen ausweisen?

 

Bild: Ruth-Rudolph/pixelio.de

 

 

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