Das Gehirn als Realostat

Es ist wohl das rätselhafteste Organ in uns. Hier ein paar Hinweise zum Wunderwerk Gehirn (ich habe auf das Wort „Fakten“ verzichtet, weil die Forschung alles andere als Unumstößliches über das Gehirn zu berichten hat, deshalb also sind es nur Hinweise):

  • Das Gehirn hat sich, von seinen Anfängen aus gesehen, nur quantitativ entwickelt, nicht aber qualitativ. Es ist also lediglich größer geworden, hat seine prinzipielle Funktionsweise aber nicht verändert. Umso rätselhafter ist es, wieso eine scheinbar so unscheinbare Veränderung vom Affengehirn zum Menschengehirn, eine derart große Veränderungen im Funktionsumfang hervorrufen konnte.
  • Unser Wissen entsteht aus drei Quellen:
    • Unser Grundwissen ist implizit, also ohne unsere bewusste Wahrnehmung über unsere Gene in unser Gehirn gelangt. Sie haben sozusagen die ersten Strukturen in uns angelegt und uns mit erstem Wissen versorgt, sowohl aus dem Evolutionspool, als auch aus dem Pool unserer direkten Vorfahren.
    • In den ersten vier Jahren unseres Lebens nehmen wir das uns angebotene ebenfalls unbewusst auf, heißt: wir werten es nicht, sondern speichern es einfach eb, ebenfalls implizit.
    • Erst danach beginnen wir, zu filtern, zu werten und bewusst zu verarbeiten und abzuspeichern. Dann allerdings sind zwei Drittel bereits in uns verankert.
  • Das Gehirn scheint Inhalt und Verarbeitung in einer Architektur zu vereinen. Anders als beim Computer, der sein „Wissen“ auf Festplatten und co. gespeichert hat, während die Verarbeitung mittels davon getrenntem Prozessor stattfindet, finden im Gehirn Speicherung von Wissen und dessen Verarbeitung scheinbar in einer Umgebung statt.
  • Für den Datenfluss sorgen dabei 1 Milliarde Nervenzellen, die über Dentriden 5000 Milliarden (eine halbe Trillion) Verbindungen zueinander haben. Damit ist jede Nervenzelle mit jeder anderen Nervenzelle im Gehirn über ungefähr 6 Ecken verbunden und erreichbar.
  • Das Gehirn verändert bis zum 20. Lebensjahr seine Struktur, danach bleibt diese Konstant. Allerdings bleibt es innerhalb dieser Struktur hochflexibel und veränderbar. Es verändert seine Denk- und Wissensstruktur dann durch die Art und Intensität der Reize, die Nervenzellen untereinander schicken.
  • Die Wahrnehmung in unseren Gehirn erfolgt über gestalten. So werden (scheinbare) Zusammenhänge als eine Einheit wahrgenommen. Das kann die gleiche Richtung sein, in die Objekte gehen, gleiche Größe, etc.
  • Die eigentliche Wahrnehmung, also das, was schließlich in unserem Bewusstsein landet, besteht zu einem geringen Teil aus den äußeren Reizen. So werden nur 6% optischer reize von Außen benötigt, der Rest – immerhin 94% – wird durch interne Interpretation, also durch Reinrechnen fehlender Reize, durch Herausrechnen störender, durch Löschung, Verallgemeinerung und sonstige Operationen errechnet.
  • Dabei gibt es kein oberstes Organ im Gehirn, das schließlich entscheidet, wie zu handeln ist. Bei jedem neuen Reiz – und das können bis zu vier in jeder Sekunde sein – wird ein neues „Ensemble“ an Nervenzellen zusammengestellt, die sich um das „Errechnen“ der Wahrnehmung kümmert (s.o.). Die jeweils anderen Teilnehmer dieses Teams erfahren voneinander dadurch, dass Sie Millisekundengenau in derselben Frequenz einen „Schuss“ abgeben. So lernen Sie sich kennen und können die Arbeit aufnehmen.
  • Bei der Schizophrenie scheint übrigens dieser Mechanismus gestört zu sein, es bilden sich also keine oder weniger Ensembles zur Reizerkennung. Deshalb kann der Schizophrene nicht mehr zwischen innerer Realität (also seiner Vorstellung) und äußerer Realität unterscheiden.
  • À propos: Das Gehirn weißt bei innerer Vorstellung und äußerer Realität sehr ähnliche Aktivitäten auf. Im Normalfall kann es zwar das eine vom anderen intellektuell unterscheiden, gefühlsmäßig jedoch klappt das weniger. Deshalb können Sportmannschaften durchaus alleine durch die Vorstellung bestimmter Techniken gute Trainingsergebnisse erreichen. Deshalb aber auch kann uns alleine die Vorstellung bestimmter Dinge auch Angst einjagen, obwohl sie real gar nicht vorhanden sind.

Realität ist also nichts weiter als ein Modell, das im Gehirn aus uns größtenteils nicht einmal bekannten Regeln hergestellt wird (sie erinnern sich: 2/3 unseres Wissen haben wir unbewusst erlangt).

Das Gehirn achtet in diesem Zusammenhang auch darauf, dass alles, was nicht in seine (und unsere) Welt passt, unterdrückt wird. Das drückt sich in der alten Weisheit „und also schloss er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf!“ aus.

Es wäre nicht verwunderlich, wenn um uns herum Dinge passierten, die so unglaublich sind, dass wir sie aber genau aus diesem Grunde auch gar nicht wahrnehmen können. Ähnlich also wie es der Thermostat tut (er reguliert die Wärme), besitzen wir womöglich einen Realostaten (ein Ausdruck von Jörg Starkmuth übrigens), der darauf achtet, dass wir nur das wahrnehmen, was unserer Realität dienlich ist.

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