Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht.

Das waren die Worte, mit denen R. seinen Abschiedsbrief begann. Sie entsprachen seiner Logik. R. war ein durch und durch logischer Mensch. Bevor er Veranstaltungen organisierte, programmierte er Computer. Logik war sein Schlüssel zum Leben – und zum Tod. Er litt, das konnte man sehen, er fand sich schwer zurecht in einem Leben außerhalb seiner Arbeit, sehnte sich nach Liebe. Doch die entzieht sich der Logik nunmal.

Mit sozialen Kontakten tat er sich schwer, oder die Kontakte mit ihm. Uns ging es ganuso, was die Zeit nach seinem Tod nicht leichter machte. Hätten wir oder hätten wir gesollt oder gemusst? Hinterblieben haben es ja eh schwerer – zumindest nach heutigem Kenntnisstand. Hinterbliebener eines Menschen zu sein, der seinen Tod selbst gewählt hat, ist umso schwerer.

Und dann noch die aufgeworfene Frage, die nicht mal eine war.

haben wir eine Pflicht zu Leben? Das Recht leuchtet jedem ein, auch wenn es viel zu viele auf dieser Welt nicht so sehen. Aber eine Pflicht? Mir kam es fast wie einer Erlösung vor, nicht leben zu müssen, höchtens zu dürfen. Man (vorher stand hier Gott, bis ich mich daran erinnerte, dass ich an Gott ja gar nicht mehr glaube) hat uns das Leben gegeben, wieso also sollten wir es uns nicht nehmen dürfen? – blödes Wortspiel.

Es waren wohl diese Worte, die plötzlich gegebene Erlaubnis, gegeben von einem Menschen, der es einfach getan hat und nun nicht mehr dafür belangt werden kann, einem Menschen, der nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen war, dass es besser war, nicht mehr zu leben, weil alles besser war, als zu leben.

Ja, der Tod ist eine Option, und zwar eine, die wir früher oder später sowieso nicht mehr wählen können, bis dahin allerdings durchaus in Erwägung ziehen können. Was soll so schlimm daran sein, den Tod in Erwägung zu ziehen, wenn uns das Leben keinen adäquaten Sinn mehr gibt?

Da fielen mir mehrer Gründe ein. Zum einen könnte s ja sein, dass der Tod (oder besser gesagt, was danach kommt) noch schlimmer ist, als das schlimmste Leben. Zum anderen könnte nach dem Tod auch garnichts mehr kommen, aber dann wäre es ja eh egal.

Mittlwerweile hat sich mein Wunsch, diese Leben (optional) zu verlassen, etwas gewandelt, um nicht zu sagen: dramatisch gewandelt. Ich leide seit einiger Zeit an einer paradoxen Mischung aus Lebensmüdigkeit und Todesangst. Das Thema Tod allerdings ist kein wirklich neues für mich, es scheint nur, dass es derzeit – oder vielmehr seit R.´s Tod – präsenter wird und mich auffordert, etwas zu tun. Denn, sollte ich das statistische Mittel von ca. 80 Jahren erreichen, müsste ich mich immerhin noch ca. 40 Jahre damit rumschlagen. Und dafür fehlt mir die Lust und vor allem die Kraft. Das logischste scheint mir, es zu lösen, einen Weg zu finden, meinem Gehirn klarzumachen, wie es am besten damit zurechtkommen kann. da ist sie wieder, die Logik. Vielleicht war ich R. näher als mir lieb war und vielleicht fehlt er mir deshlab mehr, als ich je dachte, dass er es tun könnte. Vielleicht ist es aber auch die Angst, ähnlich tragisch zu enden oder auch die, es nicht zu tun und eben noch diese 40 Jahre durchhalten zu müssen.

Ich glaube auch nicht, dass ich mit diesem Paradoxon alleine stehe. Vielmehr glaube ich, beobachten zu können, dass die meisten Menschen so damit beschäftigt sind, nicht zu sterben, dass sie darüberhinaus vergessen, zu leben. Das sollte man ändern.

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