On the way to Bristol – lost in translation
Es gibt Mimiken, die braucht man nicht zu deuten, die deuten sich von selbst. So eine Mimik war auf U’s Gesicht zu sehen, als er die – täuschend echte – Kopie seines Personalausweises aus der Geldbörde rauszog, kurze Zeit noch selbst der Täuschung erlag, um dann festzustellen, dass es tatsächlich eine Kopie, und die für Ein- und Ausreise in und aus einem Land nutzlos war. Das wäre weiters nicht tragisch gewesen, hätte er sich nicht kurz vor einer Aus- und Einreise befunden. Frankfurt – Bristol war die Losung des Tages.
Kurz zuvor wurde ihm die Geldbörse gestohlen, dachte er, war dann doch nur verloren und wiedergefunden, worauf ihm ein Freund riet, doch nur noch eine Kopie all seiner Ausweise mit sich zu führen. Also machte sich U mit der von ihm gewohnten Akribie daran, seinen Personalausweis und EU-Führerschein zu kopieren (in Farbe versteht sich, beide Seiten, versteht sich) um beide dann fachgerecht zu laminieren (das ist das Einschweißen in dafür vorgesehene Foline mittels spezieller Apparatur), denn, soviel Zeit musste sein, es sollte ja im Falle einer Kontrolle plausibel scheinen, dass er, obwohl nur die Kopien mit sich führend, die Originale zuhause vorrätig seien. Das sollte ihm in doppelter Hinsicht zum Nachteil gereichen.
08:30 (1 Stunde, 20 Minuten vor Abflug)
Nun also standen U und seine Mitreisenden am Check-in-Schalter der Lufthansa und mussten das erste von drei Malen ihre Ausweise vorzeigen, wegen Authentifizierung und Terror und überhaupt. Die Reise war sorgsam geplant, alles war gecheckt, doch die täuschend echten Ausweise zauberten, wie schon gesagt, nichts Gutes auf U’s Gesicht. Er fiel auf sich selbst herein und stand nun da, mit definitiv ungültigen Ausweisen.
A reagierte els erste, flüsterte geheimnisvoll, dass er ihr seinen Pass geben solle, setzte ihr Robinson-Club-Gesicht auf, gab der Dame am Counter die Ausweise, nahm sie zurück und – schwupps – checkte uns ein. Die Koffer verschwanden auf dem Fließband ins innere des Frankfurter Flufghafens und alles schien geritzt.
08.40
Die Laune hielt nicht lange, denn es waren noch zwei weitere Passkontrollen zu überstehen zuzüglich der alles entscheidenden im fernen Bristol. Das schien kaum schaffbar. U’s Gesicht also verfinsterte sich, die der drei Mitreisenden ebenfalls. A reagierte wieder, erklärte dem Schalterpersonal die Situation (inklusive des angeblichen Diebstahls, der sich später als simpler Verlust erwies) und wurde zur Bundespolizei dirigiert. Die könne helfen, nur die. Nix wie hin!
Während ein verzweifelter U versuchte, Freunde im entfernten Wohnort zu aktivieren, um den richtigen Ausweis an den Flughafen zu bringen, hasteten A und J also zur Bundespolizei.
In U’s Wohnort ergab sich folgende Situation. Die Nachbarin, Dr. H. War in Besitz eines Hausschlüssels, da sie für die Zeit seiner Abwesenheit nach dem Rechten sehen wollte. Dr.H befand sich zur besagten Zeit in den ersten Patientengesprächen und war telefonisch zunächst nicht ereichbar. Erst der Freund H konnte ihr den Schlüssel abringen um, die beiden kannten sich nicht, in ihre Wohnung zu fahren, U’s Schlüssel zu holen, einen Stock höher in U’s Wohnung zu gehen und U erneut zu kontaktieren, um zu erfaren, wo der (echte) Ausweis sich befand.
08:50
Während U also versuchte, Dr. H zu erreichen und gleichzeitig mit Freund H telefonierte, machten sich J und A auf den Weg zur Bundespolizei, immer U im Auge, denn um den, wir mögen uns ereinnern, ging es ja schließlich.
08:55
Das Häuschen der Bundespolizei war erreicht. Hier saßen an einem Schreibtisch ein Polizist mit einem jungen Paar, am anderen Schreibtisch saß ein jüngerer Polizist, betont erfahren schauend, und Polizeihauptkommissar (PHK) Harthmuth Röck. Widerwillig drehte sich PHK Röck zu A und J, ahnend, dass nun eine stressige Zeit auf ihn zukommen würde, verdrehte vorausschauend leicht, ganz leicht, die Augen und fragte in lustloser, ja desinteressierter Intonation, was denn sei. A ließ sich von solchen Signalen nie einschüchtern und rollte U’s Personalausweisgeschichte von vorne auf, inklusive des Diebstahls, der ja keiner war und dem Versuch, beim nächsten Verlust des Ausweisen eben ja keinen Verlust zu erleiden, da es ja nur eine Kopie wäre. Achja: Kopie!
09:05
U Zeigte hastig die Kopie seines Ausweises, um zu dokumentieren, dass er sich wirklich Mühe machte und alles an dieser Geschichte wahr sei. Nun lebte PHK Röck auf. er starrte zunächst die nahezu täuschend echte Replik von U’s Ausweis, dann U an und sagte so etwas wie:¨Das können Sie doch nicht machen, da kommen Sie in Teufels Küche!¨. Natürlich war er der Teufel und wir standen mitten in seiner Küche, denn er war PHK und wenn U jemand nun nicht mehr nur den Flug, sondern auch die zumindest vorübergehnde Freiheit entsagen konnte, weil er ein staatliches Dokument fast meisterhaft gefälscht hatte, dann war das der Teufel. Also Röck. U wurde vom Opfer zum Täter und Röck entlarvte ihn, kein Mitleid habend. Zunächst.
09.10
Im fernen Wohnort von U startete H, den Ausweis endlich in der Hand, Richtung Flughafen. Alle waren nun in Alarmbereitschaft und zählten die Sekunden, spkulietrten über Verkehrsaufkommen und fertigten Ankunftsprognosen an. Das Spiel begann.
09:15
PHK Röck, den ersten Schock darüber, dass er einer 1-A-Dokumentenfälschung gegenüberstand, überwunden, schien Mitleid zu bekommen, immer wieder kurz die Fälschung anstarrend, betonend, dass ihm so etwas ja noch nicht untergekommen sei. Trotzdem: Röck war kein schlechter Mensch und er wollte helfen. ¨Vorübergehendes Reisedokument¨ war das Zauberwort. Damit sollte U nach Brüssel fliegen können. Die würden das akzeptieren. ¨Brüssel?!?!?!¨ A wurde hellhörig, korrigiert: ¨Bristol!!!¨. Röck lehnte ich zurück, verschränkte die Arme auf dem Weg in Stuhllehne, begann auf halbem Wege dorthin, mit dem Kopf zu schütteln, arretierte und fällte das vorläufige Todesurtei:¨Keine Chance!!!¨
09:20
U war verzweifelt, der Rest auch. Doch dafür war nun keine Zeit. Röck eröffnete einen Hoffnungshorizont und empfahl, beim Flight-Manager nachzuhorchen, ob der uns nach Bristol mitnehmen würde. Doch selbst wenn: Die Einreise nach England blieb ein Glücksspiel. Bis eben war A, J und U nicht einmal bekannt, dass es einen Flight-Manager gab, nun also galt es, ihn zu suchen. Die Vorhut des FM war eine hübsche Inderin, der A in gutem Englisch versuchte zu erklären, worum es ging (genau, der Diebstahl, der keiner war, die laminierte Kopie (wobi sie ausließ, dass U einer Verhaftung gerade so entkommen war) und der ganze Rattenschwanz hintendran). Es ging um einiges schneller, als A und die Inderin sich auf Deutsch einigten. Die Inderin verschwand und verkündete etwas später, dass das alles gar kein Problem sei. Etappensieg!
09:25 (25 Minuten vor dem Abflug)
H war auf dem Weg und PHK Röck wollte die Sache nicht so schnell als gelöst markiert wissen. Das Problem, so Röck, sei, dass U keinen gültigen Asweis mit Lichtbild besaß und das vorläufige Reisedokument eben kein Bild habe. ¨Und den …¨, Röck schielte auf die Fälschung, ¨wenn Sie den mitnehmen, verhaften die sie da!¨ Er wurde nicht müde: ¨Machen Sie sowas nie wieder!¨
Während er das sagte, versuchte er, das Papier vom Laminat zu befreien, um die Ausweiskopie wenigstens als schlechte Fälschung aussehen zu lassen. J’s Hinweis, die Kopie auf einem Kopierer zu kopieren, um so die Sache zu entschärfen, brachte einen weiteren Lichtstrahl ins Dunkel.
09:30
Die Sicherheitskontrollen wurden passiert, der zweite Durchgang zur ¨staatenlosen¨ Zone ebenfalls. Kurz musste noch entschieden werden, ob U sie auch passieren sollte, denn dann gab es kein zurück mehr, um vielleicht doch noch in letzter Sekunde den originalen Ausweis von H entgegenzunehmen. Er passiette und gab sein Leben (naja) in britische Hand.
09:35
Erschöpft ließen sich alle viere vor Gate 54 (Aussage von A) nieder. A besuchte die Toilette, M, J und U lagen, den Auaruf zum Borden erwartend, sich nicht wundernd, das sie die einzigen waren, im Sessel, als M aufschrie. Ihr und U’s Name wurden ausgerufen. Eventuell doch noch Ärger wegen des Ausweises? Oder war H doch noch bis kurz vor das Gate gelangt? Einfacher: Der Flieger drohte abzufliegen, ohne A, M, U und J. M schnappe alles (ALLES!), was um sie herum lag, J und U ebenso, außer A, denn die war auf Toilette, kam schnell von dort angelaufen (Flughafentoiletten haben sinnvollerweise auch Lautsprecher, was die Sache im Erlebensfalle nicht unschicklicher macht) und begab sich zu Gate 57 (das richtige, wie sie im Flugzeug korrigieren sollte), empfangen von drei hektischen und drei genervten Menschen, wobei die hektischen den
genervten versuchten zu erklären, warum, ¨aber, ach, wissen sie was, es tut uns einfach leid, wir sind zu spät: Sorry!¨
09:40
H Traf am Flughafen ein. Zwar fünf Minuten zu spät aber: DANKE – ganz großes Tennis!
09:45
Nach Kurzer exklusiver Busfahrt kamen die vier am Flugzeug an, reihten sich unbemerkt in die Schlange, gingen an Bord und hoben ab, in Richtung des Landes, von dem noch nicht klar war, ob es ein vorläufiges Reisedokument in Verbindung mit der schäbigen Kopie eines Ausweises (Danke, Herr Röck) akzeptieren würden. C aus Detschkand untermauerte ihre Zweifel, in dem Sie noch einen Link per SMS schickte, der dokumentierte, dass wegen Terrorgefahrs die Einreisebedingungen verschärft wurden.
10:30
Ortszeit Bristol:
Keiner der Vier konnte ahnen, dass sie zu einer solchen gemeinsamen Charmeoffensive fähig waren. U war der verzweifelte Tourist mit fehlenden Sprachkenntnissen, war das Opfer, das der Hilfe bedurfte, A erzählte die ganze Geschichte ein xtes Mal und M versenkte diese Flanke in lupenreinem Englisch in das Tor der verwirrten Dame an der Einreise. Wir waren drin, wir waren am Ziel. Wir haben den fünften Stern auf dem Trikot geholt, an diesem lauen englischen Morgen
11:00
PHK Röck sitzt immer noch vor seinem nun zerfledderten Laminatausweis, versucht, das Papier vom Kunststoff zu trennen und brummelt so vor sich hin, dass er sowas noch nie erlebt hätte.
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