Schiffbruch mit Tiger

Wenn kein Tiger da ist

Angst verleiht Flügel. Das ist gut und das soll auch so sein. Wenn ein Tiger vor uns steht, dann gibt es nur noch den Tiger und uns. Kein Hunger, kein Harndrang, kein Termin, der wichtiger wäre als der Tiger. Der Tiger und der Baum, auf den wir flüchten können. Und wir können es, denn Angst verleiht Flügel. Kein Rheuma, das uns im Alltag nicht vom Stuhl aufstehen lässt, hindert uns jetzt daran, bestenfalls schneller als der Tiger auf den Baum zu kommen. Das kann Angst und dafür ist sie gut.

Angst ist gut. Wenn der Tiger da ist.

In unserem Alltag aber gibt es nur noch selten Tiger in freier Umlaufbahn. Die meisten davon schleichen allerdings in unserem Kopf herum.  Sie schleichen auch nicht im Hier und Jetzt. Sie schleichen in der Vergangenheit herum und brüllen uns von da aus an. Und sie schleichen in der Zukunft herum. Da fallen Bomben auf uns,  wir sind mittellos, die Kündigung droht, das Altersheim, das Ende der Welt. Von da aus brüllt der Tiger uns an. Entweder hetzen wir selbst den Tiger auf uns, oder andere schicken eine Horde Tiger zu uns. Denn wer sich auf Tiger konzentriert, der hat keine Lust, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, mit Politik oder gar mit seinem Leben, das so schön sein könnte, wenn da die Tiger nicht wären.

Wir schmunzeln über Schizophrene Menschen. Die aber sehen den Tiger tatsächlich. Und sie reagieren entsprechend konsequent. Wir aber wissen, dass der Tiger nur in unserem Kopf ist, und tun trotzdem so, als schliche er um uns herum. Und weil kein Tiger da draußen ist, den wir bekämpfen können, bekämpfen wir eben das, was gerade da ist. Plötzlich werden aus harmlosen Dingen und Menschen Tiger, werden Kriege angezettelt oder wir verschanzen uns in unseren vier Wänden, haben Angst vor allem und jeden.

Tiger im Kopf

Und das alles nur wegen eines Tigers, den es nur in unserem Kopf gibt.  Und weil uns der Tiger so viel Angst macht, nehmen wir uns auch nicht mehr die Zeit, genau hinzuschauen. Wir hören nur sein lautes Gebrüll von irgendwo und sagen uns, dass er ganz nah sein muss, dass wir ihn bekämpfen müssen. Also kämpfen wir,  verkrampfen uns, atmen kaum noch, fliehen, schlafen schlecht, weil wir ständig auf der Hut sein müssen. Unser Leben wird von diesem Tiger bestimmt, wir haben kaum noch Zeit und Nerv für etwas anderes und so langsam verliert unser Leben tatsächlich an Farbe. Die Dinge laufen nicht mehr, weil wir uns auch nicht mehr ums sie kümmern können, Freunde werden weniger, der Job klappt nicht mehr. Alles nur wegen des Tigers. Wir gewöhnen uns an das Umherstreifen im Dschungel, an den täglichen Überlebenskampf, an den Tiger.

Widerstand ist zwecklos

Was können wir tun? Machen wir uns einmal die Mühe, nachzuschauen, nach dem Tiger, dann werden wir bemerken, dass da kein Tiger ist, zumindest keiner, den wir sehen. Dann muss er wohl in unserem Kopf sein. Also überprüfen wir unsere Gedanken, suchen nach dem Tiger, sehen ihn auch, aber merken, dass er gar nicht hier und auch nicht jetzt ist. Er brüllt aus unserer Vergangenheit, weil er da vielleicht mal war. Und er brüllt in unserer Zukunft, weil er da auch weiter existieren will. Immerhin ist er ein Tiger und warum sollte es Tigern anders gehen, als Menschen?

Ihn zu verjagen, können wir uns sparen, denn er ist unser naturgegebener Begleiter und hat seine Berechtigung.

Machen wir uns also daran, den Tiger zu respektieren, dort, wo er gebraucht wird (Sollten wir je eine vielbefahrene sechsspurige Autobahn überqueren wollen, sollten wir auf das Gebrüll hören) und dort zu beruhigen, wo wir ihn nicht brauchen (das gilt für alle anderen Situationen).

Was bei Angst hilft: Training fürs Herz: Wenn Stress den Takt vorgibt

 

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