Rede im Römer zum CSD 2022

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Escandari-Grünberg, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Frankfurt, liebe alle, die Sie hier sind und die ihr hier seid. Schön, dass Sie alle den langen Weg hierher gefunden haben, und mit lange meine ich nicht die Strecke, sondern die Zeit. Über zwei Jahre hat es gedauert, bis wir uns wieder in diesem Rahmen treffen konnten.

Vielen Dank auch an den CSD Frankfurt, dass ihr mich eingeladen habt und wenn ich dem Orgateam seit zwei Jahren nicht mehr angehöre, weiß ich nach 15 Jahren CSD natürlich noch, worum es bei einem CSD geht und wie aufwändig es ist, ihn zu stemmen.

30 Jahre also gibt es den CSD in dieser Form, seit 10 Jahren wird er vom CSD Verein organisiert und im Übrigen fand vor ziemlich genau 50 Jahren der erste CSD in Deutschland in Münster statt.

Seitdem ist viel geschehen, vieles ist erreicht und einiges auch noch nicht. Alleine, dass wir hier im Kaisersaal schon so viele Male geredet und gefeiert haben, zeugt davon, dass unsere Gesellschaft gelernt hat.

Gelernt, dass wir Menschen nicht ausschließen dürfen, weil sie wegen ihrer Merkmale wie sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität einen eigenen Weg einschlagen.

Gelernt, dass Vielfalt ein wichtiges Merkmal einer Gesellschaft ist, um nicht zu sagen, ein völlig natürliches Merkmal. Schon seltsam, dass man es jetzt gerade erst entdeckt.

Und dem wird unter anderem damit Rechnung getragen, dass man eine Veranstaltung wie den CSD nicht nur duldet, sondern sie unterstützt und damit sagt, ihr seid ein wichtiger und guter Teil der Gesellschaft.

Ich stelle aber auch fest, dass mit zunehmender Auseinandersetzung mit queeren Themen, der Gegenwind stärker wird. Das ist natürlich eine zu erwarten gewesene Reaktion, denn mit mehr Sichtbarkeit und Forderungen lässt sich für einen großen Teil der Gesellschaft das Thema nicht mehr nur in Schwulenclubs oder Transbars wegschieben, wie es auch noch in den achtziger Jahren war, als ich mein coming out hatte.

Damals bestand die Provokation eines CSDs alleine schon darin, dass wir uns aus den dunklen Clubs rausgetraut haben auf die Straßen, uns sichtbar gemacht haben.

Was die Gesellschaft vorher vermeiden konnte, musste sie nun ganz öffentlich mit ansehen. Die queeren forderten Sichtbarkeit. Es gab Sie und es waren – ganz normale Menschen.

Arbeitskolleginnen, Chefs, Ärztinnen. Und heute sind wir hier im Kaisersaal und es scheint ganz normal, dass man uns zuhört. Selbst eine FAZ berichtet heute ganz selbstverständlich über queere Themen und das sogar durchaus ausgewogen.

Das heißt aber auch, dass nicht alles, was WIR wollen, alle anderen auch wollen und es gibt neben schlicht queerfeindlichen Meinungen eben auch solche, die nicht gegen uns sind, aber Diskussionsbedarf zur ein oder anderen Forderung haben.

Denn manche Forderungen betreffen zwar im großen Maße uns aber auch am Ende die ganze Gesellschaft. Deshalb MUSS die Gesellschaft darüber auch gemeinsam diskutieren. Das können wir nicht alleine entscheiden, wenn wir wollen, dass es Akzeptanz und Integration erfährt.

Und wir sollten uns manchen Einwänden nicht kategorisch verschließen, denn dadurch gehen sie nicht weg. Wir sollten anderen, wohlgemerkt WERTSCHÄTZENDEN Meinungen mit der gleichen Wertschätzung begegnen.

Nicht jede und nicht jeder, der in manchen Dingen anderer Meinung ist, ist gegen uns. Jeder Mensch hat sein Bild von dieser Welt und wir sollten neugierig bleiben, was diese anderen Bilder angeht, statt sie manchmal gleich phobisch abzuwerten. Eine Gesellschaft kann sich nur in einem offenen und wertschätzenden Diskurs gut entwickeln. Da bilden wir keine Ausnahme.

Aber der Anschlag von Oslo, die Niederschlagung der Prides in der Türkei, gerade wieder gefällte Todesurteile gegen drei schwule Männer in Nigeria zeigen auch, dass wir als Gesellschaft diesen Diskurs beherzt führen müssen. Und auch in Frankfurt gab es jüngst wieder Überfälle auf der Zeil, gerade wohl gestern. Sie alle zeigen, dass Menschen sich immer noch von anderen Lebensweisen und von anderen Kulturen angegriffen fühlen und angegriffen werden.

Und das passiert auch innerhalb der Community. Alleine ich als weißer alter schwuler werde von EINIGEN Teilen der Community als nicht mehr berechtigt angesehen, mich zu beklagen, weil ich aus deren Sicht schon zu den Privilegierten zähle. So etwas macht mich eher traurig, gar nicht wegen mir, aber es gibt immer noch so viele Biografien, die eine ganz andere Geschichte erzählen – auch heute noch, auch unter älteren und auch unter weißen und unter Männern. Eine solche Priorisierung darf nicht sein, denn Sie marginalisiert das Leid vieler Menschen.

Das darf aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es unter der Gruppe der queeren Menschen solche gibt, die in der Tat erst in der jüngsten Vergangenheit Aufmerksamkeit bekommen haben und damit auch nicht nur positive Rückmeldungen, sondern Befremden, auch aus der eigenen queeren Community.

Ich spreche von der Transcommunity bei der ja viele glauben, mitreden zu müssen, was nun gut und was nicht gut für sie sei. Und genau das kennen Schwule und Lesben auch. „Wenn mal nur der oder die richtige des anderen Geschlechts gefunden ist, dann ist diese Phase ja auch vorüber.“

Ich meine, wie müssen in unserer Gemeinschaft einen Weg finden, mit all diesen Bedürfnissen umzugehen, statt uns gegenseitig Vorwürfe zu machen oder uns gar anzufeinden. Es gibt kein mehr oder weniger diskriminiert. Diskriminierung bewirkt in Menschen immer Ausgrenzung und führt schlimmstenfalls dazu, dass man am Ende den anderen glaubt und sich schlecht fühlt.

Und mir fällt noch ein anderes Merkmal der geführten Diskussionen der letzten Jahre auf. Juli Zeh, eine Autorin, hat dazu etwas meines Erachtens kluges festgestellt, als sie sagte:

„Es gibt ein redliches Bedürfnis, die Komplexität der Welt richtig abzubilden, also selbst auch immer differenzierter zu werden. Man hat aber manchmal schon gar keine Meinung mehr vor lauter Differenzierung. Und SO ist es schwierig, politisch zu kommunizieren. Jetzt haben wir das Spielfeld Leuten überlassen, die die Vereinfachung sehr gut beherrschen. und es sind keine oder wenige Slogans da, die man dagegenhalten könnte.

Einer der größten Erfolge in der queeren Geschichte mit einem solch eingängigen Slogan war die „Ehe für alle“.

Ich erlebe in meinem Bekanntenkreis, dass wirklich interessierte Menschen mich um die Übersetzung queerer Texte bitten, weil sie sie nicht verstehen. Und NATÜRLICH muss jeder Mensch seinen Platz in Gesellschaft und Sprache bekommen, aber dafür brauchen wir eine gemeinsame Sprache, und das ist die große Herausforderung und auch Kunst, nicht nur UNSERER Community. Natürlich können wir trotzig voraussetzen, dass andere sich eben über unsere Begrifflichkeiten informieren müssen. Das ändert aber wenig daran, dass sie es eben nicht tun oder tun wollen. Trotzdem STEHEN sie zu uns und WOLLEN das auch. Also lasst uns schauen, wie wir Menschen für diese gemeinsame Sache noch besser erreichen können.

Ich sehe aber auch, gerade in der Genderdebatte, dass wir ja miteinander reden. Dass es dabei auch mal hoch hergeht, zeigt ja auch, das Menschen Interesse an der Diskussion haben und ich bin zuversichtlich, dass jede und jeder und auch wir als Gesellschaft unseren Weg durch diese Debatte und unseren ganz individuellen Umgang damit finden werden.

So ist es mit Umbrüchen – erst nach dem Chaos kommt bestenfalls auch das wieder ruhigere Fahrwasser. Und wir befinden uns derzeit in vielen Umbrüchen.

Und hier haben gerade queere Menschen einen wichtigen Anteil, denn sie haben ein gutes Sensorium entwickelt für Ungerechtigkeiten und Diskriminierung.

Die Aufgabe wird es sein, einen guten Umgang mit diesem Komplexen Thema zu finden, den der große Teil der Gesellschaft dann auch mitgehen KANN und will. Denn den brauchen wir, wie brauchen dessen Unterstützung und dessen Verstehen. Das ist eben das Wesen einer demokratischen Gesellschaft.

Ein wichtiger Bestandteil dieser Aufklärungsarbeit ist, und damit komme ich zum eigentlichen Anlass unseres Hierseins, der CSD.

Als der CSD, wie er heute im Grunde auch noch stattfindet, das erste Mal als HOMOSOLIDARITÄT durchgeführt wurde, konnte man freilich von all den heutigen Diskussionen nur träumen.

Wer sich aber die Korrespondenz aus diesen Jahren anschaut, der wird auch damals schon eine Menge Grabenkämpfe entdecken. So ist das eben auch: Wer politisch diskutiert, der diskutiert auch mit seinesgleichen.

Das MUSS nicht, wie man heute gerne annimmt, ein Zeichen für die Zersetzung der Szene sein, sondern es KANN ein Zeichen für politischen Diskurs sein, den man in einer Demokratie eben braucht.

Wir sollten nur die Regeln solcher Diskurse nicht aus den Augen verlieren. Sie gibt es aus gutem Grund.

Als ich vor dreißig Jahren das erste Mal auf dem CSD war, feierten ungefähr 1000 Menschen in der Klingerstraße, es gab einen Kassettenrekorder und eine Badewanne voller Nudelsalat. Zudem rosafarbene oder hellblaue Fähnchen in die Hand gedrückt.

Dazu gäbe es heute einen Platzverweis vom Ordnungsamt wegen fehlender Terrorabwehr, einen vom Gesundheitsamt wegen fehlender Hygiene und vermutlich eine Grundsatzdebatte wegen der zweifarbigen Fähnchen, wenigsten darüber, was Satire darf und was nicht.

Der CSD wurde indess so groß, dass er schon 1995 auf die Konstablerwache umzog und GAY-LIVE genannt wurde.

Heute einen CSD zu organisieren, heißt, eine professionelle Buchhaltung zu haben und schwierigen Diskussionen mit dem Finanzamt standzuhalten.

Ginge es nach der Polizei im Backstage, dann sollte der CSD am besten ohne Gäste, nach dem Demoamt, ohne Alkohol und nach den Anwohnern, ohne Musik feiern.

Ein Sicherheitskonzept muss erstellt, Straßensperrungen organisiert, Demonstrationen angemeldet werden und wer sich so ganz privat einmal im Jahr mit Ämtern beschäftigen muss, kann sich vorstellen, über welchen Aufwand wir sprechen.

Um mich richtig zu verstehen: Feste brauchen Regeln. Aber noch besser wären Menschen, die einem behilflich sind, diese Regeln in einem Maße durchzuführen, wie es allen dient und die auch für ein ehrenamtliches Team zu schaffen sind.

Fakt ist aber, dass sich viele an diesem CSD laben, ihn auf Ihre Webseite setzen und im Rahmen des CSDs auch gerne mit Reden aufwarten. Das hilft sicher auch – ideell. Aber praktisch ist so eine Veranstaltung, die das Gesicht einer Stadt nun mal auch in einem positiven Sinne prägt, und, auch das muss man sehen, mehr als ein Volksfest ist, einfach immer SCHWIERIGER von einem Ehrenamt zu organisieren.

Und wenn sich nicht grundlegend etwas geändert hat – und ich weiß aus sicherer Quelle, dass es sich nicht geändert hat – dann kann man in den letzten Wochen bei vielen Organisierenden von Aufopferung sprechen, wenn man die Arbeit anschaut und auch, wenn man die VERANTWORTUNG sieht, die sie während des Festes haben.

Ein CSD kostet 250.000 Euro. Das ist eine Viertelmillion. Die müssen erwirtschaftet und verantwortet werden. Und dafür braucht es engagierte Menschen, auf die es bei SO EINER Belastung besonders zu achten gilt.

Ich bin aber auch sicher, dass man hier eine Lösung finden wird, ja muss. Und ich finde es gut, wenn sich sowohl die Stadt Frankfurt, von der ich WEIß, dass sie den CSD sehr wertschätzt, im Gespräch mit den organisierenden bleibt und hilft, wo sie helfen kann.  Das müssen nicht nur monetäre Hilfen sein. Das Abnehmen so mancher Verwaltungsprozesse würde den Stress sicher minimieren.

Aber auch die Community muss sich Gedanken darum machen, was IHR der CSD wert ist und wie man den CSD für die Zukunft sichert. Würde jede und jeder, die und der den CSD besucht auch nur einen Euro spenden, gäbe es keine Geldsorgen.

Ich will mit einer kleinen Geschichte enden:

Im Jahr 1888 wurde der sechzehnjährige Georges Gurdjeff Zeuge eines seltsamen Vorfalls. Er beobachtete einen kleinen Jungen, der weinte und sich seltsam bewegte. Als Gurdjeff sich näherte, sah er, dass andere Kinder um diesen Jungen einen Kreis in den Sand gezogen hatten, aus dem sich der Junge offenbar nicht heraus traute. Als Gurdjeff einen Teil dieses magischen Kreises auslöschte, entstand eine Öffnung, die der Junge sofort nutzte, um seinen Peinigern zu entkommen. Gurdjeff war derart beeindruckt, dass er sich in seinem späteren Leben fragte, in welchen Kreisen wir Menschen oft gefangen sind, und wie wir uns aus ihnen befreien können.

Der Christopher Street Day ist, wie alle Pride-Veranstaltungen, ein solcher Öffner. Er schafft es, die Kreise, die wir als Menschen und als Gesellschaft um uns haben und aus denen wir oft aus eigener Kraft nicht herauskommen, zu erweitern oder gar zu öffnen.

Er schafft es auch gerade, weil er als Fest daherkommt. Er schafft es, Menschen mit ganz unterschiedlichen Kreisen an den vier Tagen, zusammenzubringen, in einem viel größeren Kreis zu vereinen, um so am Ende die ein oder andere Lücke in einem vorher engen Kreis zu hinterlassen. Zumindest bietet er an diesen vier Tagen diese Lücke, die es Menschen ermöglicht, die Welt außerhalb Ihres Kreises zu erkunden. Alleine das macht ihn so wichtig für jeden einzelnen Menschen, der ihn besucht, aber auch für unsere Gesellschaft.

Ich wünsche dem CSD, dass er auch weiterhin viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter gewinnen kann, und dass er die Unterstützung erhält, die er definitiv braucht und verdient. Von der Gemeinschaft derer, die sich unter seinen Schirm begeben und auch von der Stadt, in deren Bild er fehlen würde.

Happy Pride.

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