Das gestörte Essen
Vor 50.000 Jahren war es der Säbelzahntiger, die Witterungsverhältnisse, überhaupt, das ganze raue Leben, vermutlich Kriege zwischen Stämmen – und natürlich die schlechte Ernährung.
Vor 2000 Jahren gab es keine Säbelzahntiger mehr, dafür andere wilde Tiere, vor allem die Mitmensch, Religionen kämpften untereinander, Staaten auch, eigentlich wie heute, nur ohne Drohnen – und die Ernährung war sicher auch nicht die beste.
Vor 600 Jahren gab es immer noch die schlechten Lebensbedingungen, Hygiene war ein immer noch ein Fremdwort, die Pest raffte die Menschen dahin, Kriege eh – und die Ernährung, die war immer noch schlecht bis kaum vorhanden.
Vieles hat sich geändert, seitdem. Tiger sind im Zoo, die Pest ist überschaubar geworden, sicher, andere Erkrankungen kamen dazu, aber eines, ja, eines ist wohl geblieben.
Die Ernährung erlebt eine Renaissance. Ich erinnere mich, vor 20 Jahren als erster in meinem Freundeskreis den „Biotrip“ erkannt zu haben, der noch keiner war. Es gab noch keine Biosupermärkte, man musste zum Demeter-Bauernhof fahren, um sich gesund zu ernähren.
Man traf dort die typischen „Ökos“, genau die, mit denen schon damals niemand etwas zu tun haben wollte. Also warteten die mittelschichtigen Besserverdiener, bis der Öko aus dem Öko raus war und der Bio-Trend Einzug hielt. Supermarktketten wie Basic kamen auf den Markt und auch Juppies konnten endlich standesgemäß Bio essen und trinken.
Dass der ursprüngliche Gedanke von Bio mit dieser Kommerzialisierung verloren gegangen ist, muss nicht wirklich überraschen. Längst haben die Lebensmittelskandale auch diese Branche erreicht. Biohühner werden ebenso in Massen gehalten, wie für Bio-Palmöl Menschen enteignet und von ihrem Land vertrieben werden.
Auch die Produktpalette änderte sich drastisch. Musste man sich damals sein Bioessen aus natürlichen Grundzutaten selbst herstellen, gibt es heute nichts mehr, was nicht in sogenannter Bioqualität erhältlich ist. Von der Nuss-Nougat-Creme, Knäckebrot, Kindergläschen, Schoki, Fischstäbchen, Fertigpizza, alles eben. Ach, es ist so leicht geworden, sein Gewissen zu erleichtern.
Selbst der geneigte Vegetarier oder die beseelte Veganerin können heute auf konventionelles Essen zurückgreifen, eben nur ohne.
Trotzdem scheint die Debatte um unser Essen gerade erst angefangen zu haben, denn die Zahl der Essensallergiker häuft sich und führt mittlerweile dazu, dass man nicht, wie es früher so üblich war, einfach zum Essen einlädt. Es ist komplizierter geworden, denn zu den vegetarisch oder vegan lebenden Menschen kommen nun die Laktose- und Gluten-intoleranten hinzu.
Und um auch denen das Essen zu vermiesen, die sich bisher in puncto Essen als durchaus tolerant erleben, wächst die Bücherliste von (meist amerikanischen) Doktoren, die auf Grund (natürlich) neuester Studien die dollsten Lebensmittel-Nogos ausgraben:
Neueste Entdeckung (meinerseits) ist ein Buch, in dem Weizen als „Killerkorn“ beschrieben wird, das Demenz und im Grunde auch alle anderen schlimmen Erkrankungen überhaupt erst möglich macht. Man mag von alledem halten was man will.
Ich sehe erst einmal „nur“ ein weiteres Thema, das hier und da missbraucht wird, sich abzugrenzen von anderen, zu zeigen, dass man der oder dies Bessere ist. Und ich habe wenigstens das Gefühl, dass es so oder so keine friedliche Lösung in diesem „Konflikt“ geben kann, das eine Lösung auch gar nicht gewünscht ist, außer die, in Stein zu meißeln, dass es eben gut und schlechte Menschen gibt. Und das kann nicht gut sein.
Ich halte es im übrigen – wen wundert’s – nicht für unmoralisch, Tiere zu essen, ich halte es aber auch für nicht mehr zeitgemäß, es so zu tun, wie wir es bisher getan haben. Etwas mehr Verantwortung täte uns besser, nicht nur in unserer Esskultur, sondern auch in der Art, wie wir über unser Essen miteinander oder übereinander reden.
Nochmal: Bei all diesen Diskussionen geht es aus wohl in großen Teilen nicht um die Umsicht mit unserer Umwelt, Mitgefühl mit allen Wesen und gesunde Ernährung. Es geht nicht darum, unsere Ess-Störungen zu beseitigen, sondern alleine die Diskussion darüber ist schon Teil der Ess-Störung, die wir meinen, damit beheben zu können. Und das auf beiden Seiten.
Das Leben ist eben paradox …
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