Ich schäme mich
Ja, ich schäme mich und mir fällt auf, dass sich in Zeit größter Unmoral die Gründe, sich zu schämen, mehren. Und je größer der moralische Verstoß auf der einen Seite, desto profaner die Gründe auf der anderen. Das liegt wohl daran, dass es immer irgendeinen Ausgleich geben muss, und da die großen Themen, derer man sich schämen sollte, immer schamloser werden, suchen wir eben in den Krümeln nach Dingen, die uns die Röte ins Gesicht treiben.
Ich liebe Dennis Scheck, seine Sendungen, seine Eloquenz Leichtigkeit, mit der er einem zu verstehen gibt, dass er der große Versteher ist und uns aus Leidenschaft an seinem Intellekt teilhaben lässt. Die Bücher aber, die er in seiner Druckfrisch-Sendung so vorstellt, die sind wohl nichts für meinen schwachen Geist. Trotzdem, ich wollte es versuchen und scheiterte grandios.
Martin Mosebach sollte es sein, mit dem ich mich messen lassen wollte an meinem Dennis. „Was bisher geschah“ heißt der Roman, in der Martin Mosebach also seinen Protagonisten erzählen lässt, was eben bisher geschah – bevor der seine Freundin kennenlernte. Das tut er dann auch, vermutlich in literarischer Großkunst. Mich hat es einfach nur gelangweilt, wie er präzise über Seiten hinweg das Tschilpen einer Nachtigall beschreibt, um dann von langweiligen Partys in Kronberg zu erzählen.
Es ist unfair, weil ich weiter einfach nicht kam und nun trotzdem Mosebachs Werk als unfassbar langweilig kritisiere, weil mir am Ende einfach das Verständnis für wahrhaft großes Literatur fehlt. Ich schäme mich!
Ein weiterer Versuch, dachte ich, schadet nicht, mein kulturelles Ego aufzupolieren. Diesmal sollte es einer der seltenen Filme von Terrence Malick werden, der mich retten sollte. Brad Pitt in einem Film – das kann so schlecht nicht sein, dachte ich. Eine halbe Stunde wabriges Kino, in der eine Geschichte erzählt wurde, gefolgt von einer weiteren halben Stunde großer Musik, die Naturschauspiele untermalte, Eruptionen, Vulkanausbrüche, Wassergewalten und Zusammenbrüche ganzer Galaxien. Dazwischen flüsterte eine Stimme seltsame Worte. Und schließlich eine Stunde Geschichte. Am Ende war ich (glücklicherweise nicht als einziger) ratlos. Der Sinn des Lebens hätte sich mir in diesem Meisterwerk offenbaren sollen, tat es aber nicht. Ich schäme mich!
Und so schäme ich mich vor blauen Bildern, deren Untertitel („Blaues Bild“) nicht mehr verrät, als ich eh schon sehe. Alle um mich herum scheinen ein blaues Bild zu verstehen. Ich nicht. Ja, ich schäme mich dafür, auch dafür, dass ich Hirsche unterm Blitzschlag (oder heißt es umgekehrt) nicht verstehe, fettige Badewannen und bunte Striche auf Leinwand.
Und was mache ich stattdessen? Ich kaufe Lack-Tische (so heißt der Angebotstisch bei IKEA, hergestellt in Polen) für 7,99, dazu ein EXPEDIT für 29,99. Ich amüsiere mich über Filme, in denen es eine Handlung gibt und der Regisseur auch noch freundlich genug ist, mir diese zu verraten – er lässt seine Schauspieler einfach genug Text sprechen und zeigt in klaren Bildern, was er sich so gedacht hat. Ich lese Bücher, in denen es eine Handlung, zudem eine gute, gibt.
Ja, ich sollte mich tatsächlich schämen, derart kulturlos daherzukommen, aber zum Millionenbetrug und Geschachere mit den Großen dieses Landes reicht es einfach nicht; dazu, viel Geld auf bankrotte Statten zu wetten, um dann bei einem Gläschen Sekt mit der Kanzlerin über noch mehr Geld zu sprechen, irgendwie auch nicht.
Aber dafür muss man sich ja heutzutage auch nicht mehr schämen. Im Gegenteil, das ist Teil der Abmachung, Teil des marktwirtschaftlichen Gebahrens und dumm ist nur, wer die Gesetzeslücken (die nicht mal welche sind) nicht nutzt. Also bleibts dabei, ab und zu mal was Kulturelles zu unternehmen, das ich nicht verstehe – um mich dann wenigstesn dafür zu schämen, während andere sich vor das blaue Bild, den Hirsch unterm Blitzschlag und die fettigen Badewannen stellen, des Abends Martin Mosebach lesen oder den Baum des Lebens anschauen, um dann verklärt mit dem Kopf zu nicken, um den Ihren zu bedeuten, dass Sie gerade Zeuge ganz großer Kunst geworden sind, obwohl Sie gedanklich schon wieder beim nächsten Geschäft sind. Dafür allerdings schämen sie sich dann auch nicht.
Ich aber irgendwie schon. Und dafür schäme ich mich dann auch.
PS: Um ein Missverständnis zu vermeiden: Martin Modebach, Terrence Malick, Beuys und andere Künstler sind groß und machen ebenso große Kunst – ich verstehs halt trotzdem nicht. Dazu allerdings kann der Künstler nun wirklich nichts. Und Dennis Scheck ist für mich der angenehmste Buchkritiker dieser Zeit, auch wenn ich seine Buchvorstellungen nicht sonderlich nützlich finde. Und dafür schäme ich mich ausnahmsweise mal nicht.
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