Vita brevis – und wir warten
Und Seneca sprach in seiner Schrift „de brevitate vitae“ („Über die Kürze des Lebens„):
Der größere Teil der sterblichen Menschen, Paulinus, beklagt sich über die Mißgunst der Natur, dass wir nur für eine kurze Lebenszeit geboren werden, und dass so schnell und stürmisch die uns gegebene Lebensfrist abläuft, und zwar so, dass mit Ausnahme weniger das Leben die übrigen bereits bei der Vorbereitung des Lebens im Stich lässt. Und über dieses allgemeine Übel, wie man meint, seufzt nicht nur die große Masse und der unwissende Pöbel.“
Ja, so sei es, kurz das Leben und manchmal so gar zu kurz, um die lästigen Vorbereitungen auf dasselbe vorzunehmen, um dann das tun zu können, was wir gemeinhin als Leben bezeichnen und in Wirklichkeit dann auch schon wieder der Abschied ist – wir nennen das dann Midlife-Chrisis. Dazwischen – vielleicht – öffnet sich ein kleines Zeitfenster, eben zwischen Vorbereitung und Verabschiedung, in dem wir das Leben genießen können. Wenn nichts dazwischen kommt. Wenn!
Das Leben ist also kurz, soviel wollen wir festhalten, und selbst diese Kürze wissen wir mit nichts besserem auszufüllen, als der Angst vor dem dann doch bevorstehenden Ende. Diese Angst versteckt sich hinter hektischem Treiben, wechselnden Partnern und auch Arbeitsstellen oder Arbeitnehmern, den verzweifelten Versuchen, schnell etwas aufzubauen, um dann schnell das Leben noch genießen zu können und dann eben doch viel zu schnell auch wieder abzutreten.
Kinder werden gezeugt, Unternehmen gegründet, Bücher geschrieben, nur, um der Nachwelt etwas von uns zu hinterlassen. Die weiß es allerdings in den meisten Fällen erst nach unserem Ableben zu schätzen. So wurden die meisten Künstler erst nach ihrem Ableben reich und füllen wenigstens posthum die Kassen von Auktionshäusern und Kunstagenten.
Der größte Teil von uns allerdings zieht verrückter Weise eine ganz andere Taktik vor: Er wartet und erwartet. Und so warten wir auf den großen Erfolg (und lassen uns dabei von den Bohlens dieser Welt gerne auch mal diskreditieren, das große Erbe, den Durchbruch, die Glückssträhne, den Traumprinzen, die Traumprinzessin, die Steuersenkung, das Urlaubsgeld und vor allem warten wir auf die Rente.
Es war und ist mit bis heute nicht begreiflich, wie man auf so etwas wie die Rente warten kann, beseelt von der Hoffnung (oder gar dem Wissen), dass danach alles besser würde. Mit 70 also wird alles besser. Der Rente wegen. Soso, danke Herr Blüm, für diesen Floh, den Sie uns wider besseren Wissens ins Ohr gesetzt haben!
Die Erwartung an das, auf das wir warten, ist so hoch, dass sich das Warten zwar (ideell gesehen) lohnt, realistisch allerdings wissen wir, dass wir mit unseren Erwartungen doch schon die Niete gezogen haben. Wir tun es trotzdem und Freud nannte das „Bedürfnisbefriedigung durch Planung“, oder so ähnlich.
„Vita Brevis“, und irgendwann auch „Vita vorbei“ und dann, spätestens dann, haben wir den Salat und wir bemerken, das wir, wenn wir nicht die Blinde-Aktionismus-und-koste-es-was-es-wolle-und-pfeif-vor-allem-auch-auf-die-anderen-Schiene gefahren sind, wir einfach nur auf das bessere Leben gewartet und vor allem das bessere Leben erwartet haben.
Ganz am Ende haben wir nur auf den Tod gewartet und die Zeit dorthin eben mit allerlei schnieken Erwartungen gefüllt – und ein bisschen gehofft, die Erwartungen mögen sich wenigsten teilweise erfüllen.
Achja, Hoffnung: Die stirbt ja bekanntlich zum Schluss – aber sie stirbt. Spätestens mit uns.
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