Rede im Römer zum CSD 2019
Lasst uns kurz an die denken denken, die vor 50 Jahren etwas für unsere Community Unvergleichliches taten. Sie wehrten sich das erste Mal so, dass wir heute noch die Gravitationswellen dieses Urknalls spüren können. Sie gingen für Ihre rechte auf die Straße und setzten damit das Fundament für unsere. Natürlich ranken sich viele Geschichten um diesen Tag. Geschichten sind es, die uns das Leben erklären, vor allem das, an dem wir nicht teilnehmen konnten. Und sie machen reine Fakten zu erlebbarem.
Eine dieser Geschichten ist die des Schmetterlings. Verglichen mit den Naturgewalten der Erden scheint von einem flatternden Schmetterling keine allzu große Wirkung auszugehen. Ein altes Chinesisches Sprichwort aber besagt, dass die Kraft von Schmetterlingsschwingen noch auf der anderen Seite des Erdballs spürbar sei. Die neuere Fassung fragt: „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“ und beschrieb die Unvorhersehbarkeit der langfristigen Auswirkungen.
Edward Lorenz stellte diese Frage, nachdem er im Jahr 1961 ein einfaches Modell der Wettervorhersage testete. Das Wetter hängt ja von vielen Parametern ab. Er nahm Daten über Windgeschwindigkeit, Luftdruck und Temperatur und setzte sie in seine Berechnungen ein. Bei der Überprüfung der Ergebnisse verwendete er der Einfachheit halber nur die ersten drei statt aller sechs Dezimalstellen und erwartete eine geringe Abweichung, zumal die Änderung ja auch nur gering war. Das Ergebnis allerdings verblüffte ihn, denn die Abweichung war trotz der nur kleinen Änderungen immens.
Lorenz entdeckte die Chaostheorie.
Die gilt dann, wenn man es mit komplexen Systemen zu tun hat. Das sind Systeme, bei denen das Ergebnis von vielen Faktoren abhängt. Und in genau diesen Systemen kommt der Schmetterling zur Geltung. Wer hier mit den Flügeln schlägt, der kann eben doch das Wetter beeinflussen.
Unsere Gesellschaft ist so ein System, zumal eines, indem zumindest wir hier in Deutschland mit den Flügeln schlagen dürfen, natürlich etwas eingegrenzt durch Regeln und Gesetze, aber trotzdem recht frei.
Doch auch in diesen Systemen kennen wir das Phänomen, nicht mit den Flügeln zu schlagen, auch wenn es angebracht wäre. Die hundertste Präsentation des Chefs, die jeder und jede langweilig findet und doch zustimmend klatscht, vielleicht, um seine Ruhe zu haben, oder auch, um ihren Arbeitsplatz zu behalten. In manchen Ländern klatscht man, schlicht, um am Leben zu bleiben. Man spricht hier von sogenannten Grenzzykeln. Das ist ein Verhalten, das nicht auf Überzeugung fußt, sondern aus Eng gesetzten Regeln, die es nicht zu übertreten gilt.
Solche Systeme verwenden einen großen Teil der Energie auf die Einhaltung dieser sich immer wiederholenden Verhaltensweisen.
Soweit mein kleiner Ausflug in die Physik.
Rosa Parks wusste weder von Grenzzykeln noch von Schmetterlingen. Sie kannte vor allem harte Arbeit. Sie war am 1. Dezember 1955 in Montgomery, Alabama festgenommen worden, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Dies löste den Busboykott von Montgomery aus, der unter anderem als Anfang der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gilt.
Rosa Parks war schwarz und sie durchbrach einfach den Grenzzykel, der damals herrschte. Hätte man sie gefragt, ob sie glaubte, damit eine Revolution in Gang zu bringen, dann hätte sie wohl verwundert geschaut. Denn das, was sie tat, tat sie nicht aus einem Gedanken der Revolution heraus, sondern aus Jahrzehntelanger Erfahrung der Unterdrückung. Das Fass lief in diesem Moment über und sie hatte einfach genug von alledem, blieb sitzen und schlug mit den Flügeln.
Rosa Parks konnte vor Ihren eigenen Augen erleben, was passierte, auch wenn sie all das vielleicht nicht mit ihrer Tat in Verbindung brachte, doch hatte sie das Glück, es mitverfolgen zu können.
14 Jahre später, am 28. Juni 1969, war den Menschen aus dem Stonewall Inn vermutlich auch nicht klar, dass sie grade mit den Flügeln schlugen, Grenzzykeln missachteten und eine Veränderung in Gang brachten, die sie so nicht erwartet hatten, weil man im Moment des Flügelschlags erstmal nicht beabsichtigt, eine Revolution auszulösen.
Genauso wenig wie der Schmetterling dies tut. Er will eben einfach fliegen.
Hört man die Veteranen von damals, so begann alles, wie es schon so oft begann – Schikane seitens der Polizei, wo es nur ging, Razzien, Festnahmen, Gewaltanwendungen.
Man führte die Menschen an diesem Tag wieder einmal ab und verfrachtete sie in einen Polizeiwagen.
Doch die Situation war alles andere als angespannt. Die abgeführten, meist Drags und Trans, gingen erhoben Hauptes und jubilierend ins Gewahrsam. Erst im Laufe des Tages wurde aus dieser anfangs launigen Aktion, so beschreit es einer der Veteranen, eine immer weiter eskalierende.
Wie es in komplexen Systemen so ist, kamen viele Dinge zueinander. Es war die Nacht nach Judy Garlands Beerdigung, viele queere Menschen befanden sich in der Stadt und die Stimmung war emotional aufgeheizt, es war sehr heiß und die Razzia der Polizei wurde nicht, wie es öfter war, angekündigt.
Martin Boyce, ein Stonewall Veteran, sagte: „Wir waren verweichlichte Tunten, aber wir wollten diese Polizisten umbringen, man sah es in unsere Augen. Viele von uns lebten auf der Straße und wir wollten gewinnen.“
Die Steinewerfer, die nach und nach dazukamen waren Jugendliche, vom Protest aus dem Park gegenüber angezogen. Am Ende verschanzten sich die Polizei und Journalisten im Stonewall Inn. Draußen wurde eine Parkuhr aus der Verankerung gerissen und man stürmte auf die Tür ein, jemand goss Brennspiritus an die Türe und zündete in aller Ruhe ein Streichholz an.
„Je mehr Flammen mehr Lärm und Blut, umso schlimmer wurde der Aufstand. Die Polizisten wollten uns in Schach halten, aber wann immer sie die eine Straße sperrten, gingen die Demonstranten einfach um die nächste Ecke und kamen zurück. Es war nämlich Alltag, das Homosexuelle selbst in Gruppen von Heteros angegriffen zu werden. Doch die schwulen hatten gelernt, sich aufzulösen und immer wiederzufinden. Es schien, als hätte man sie unabsichtlich auf diesen Moment vorbereitet. Dieses Guerilla Taktik von Stonewall war quasi ein ganz natürliches Verhalten und war keine Strategie.“, so ein Zeitzeuge. Was passierte danach?
Dan Garvin beschreibt es so: „Uns wurde langweilig, wir waren Kinder, es war schließlich unsere erste Revolution. Wir waren am Ende. Es war drei oder vier Uhr nachts. Die Menge wurde weniger und wir sind einfach nachhause gegangen. Wenn die Polizei Reserve gehabt hätte, wäre das der Moment gewesen, sie zu schicken, denn wir waren fix und fertig.“
Der Rest der Stonewall Riots ist Geschichte und auch wenn wohl nur im deutschsprachigen Raum die Christopher Street Namensgeberin der heutigen Demonstrationen sind, so wird in aller Welt nach diesem Vorbild demonstriert und gefeiert.
Die Stonewall Riots und die 50 Jahre danach zeigen uns deutlich, dass wir nur gemeinsam schaffen können, was zu schaffen ist und dass wir Menschen für unsere Idee gewinnen müssen und es vor allem auch können.
Lasst uns deshalb nicht so sehr die Unterschiede sehen, denn die wird es immer geben, das gehört zum Menschsein dazu, zur Vielfalt, für die wir immerhin einstehen. Lasst uns die Gemeinsamkeiten sehen. Das ganze Alphabet kann die queere Szene nicht ausdrücken – da kann es ein LGBTTIGAA erst recht nicht
Wenn ich auf unseren CSD schaue, dann sehe ich unglaublich viel Solidarität. Alleine, dass wir hier in Frankfurts Gud Stubb empfangen werden, zeugt davon.
Wenn ich heute auf den CSD schaue, dann freut es mich zu sehen, dass es Sponsoren aus allen Bereichen der Wirtschaft gibt, die, zumindest was Frankfurt betrifft, ein großes Interesse haben, den CSD aktiv mitzugestalten, Teil von ihm zu sein und das mit viel Freude und Engagement tun. Es sind zudem die Diversitygruppen, die den CSD dann auch gleich ins Unternehmen weitertragen. Eine Vorstellung, die vor nicht allzu langer Zeit unmöglich gewesen wäre.
Michael Kirchner und Dr.Jean Luc Vey von Prout at Work werden im Anschluss sicher noch etwas darüber erzählen.
Es geht heute hier in Frankfurt nicht mehr ums Überleben sondern um Ausgestaltungen queeren Lebens in der Stadt. Eine Stadt, in der seit drei Wochen eine CSD Bahn der Vielfalt fährt, die in Kooperation mit der VgF und dem Dezernat um Frau Weber entstand. Das sind Dinge, von denen konnten unsere Brüder und Schwestern in New York vor 50 oder auch in Frankfurt vor knapp 50 Jahren nur träumen.
Doch wir merken auch, wie schnell dieser Mittenplatz für Minderheiten auch wieder verloren gehen kann. Das Internet mit seinen sogenannten sozialen Netzwerken ermöglicht den Zusammenschluss von Menschen, die keinen Wert auf eine offene und liberale Gesellschaft legen. Und wir müssen feststellen, dass den Worten mittlerweile auch Taten folgen.
Joseph Lovett, ein Stonewall Veteran, drückt es so aus: „Keine Gemeinschaft sollte sich sicher fühlen, ohne an ihrer Sicherheit zu arbeiten. Keine Minderheit sollte Ihre Sicherheit und ihre Rechte als Selbstverständlichkeit ansehen. Diese Rechte müssen bewahrt werden und man muss für sie kämpfen. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass einem Rechte gegeben und genommen werden können“
Die Kunst ist es, im Alltag Haltung zu zeigen, aufzustehen, stopp zu rufen, wenn eine klare Grenze überschritten wird, eben mit den Flügeln zu schlagen und genau das zu tun, was in diesem Moment das Richtige ist – frei nach Saint Exuperi will ich sagen, man handelt nur mit dem Herzen gut.
Erst die Zukunft kann zeigen, was die Vergangenheit gebracht hat und selbst das muss nicht so sein. Vielleicht tragen unsere Taten am anderen Ende der Welt Früchte, die wir in unserem Teil nie sehen werden, wie es das chinesische Sprichwort ausdrückt.
„Ob Stonewall mein Leben verändert hat? Absolut. Alles, was ich tun konnte, wie ich mein Leben leben konnte, wäre niemals ohne diesen Aufstand möglich gewesen.“ Sagt Greta Schiller, lesbische Aktivistin und schließt mit ihrer ganz persönlichen Konklusio: „Thats the reason why I love Drag Queens.“
Am Ende meiner Rede will ich an zwei Menschen erinnern, die ein großer Teil dieser Bewegung waren. Rainer Gütlich, der vor genau zehn Jahren aus dem Leben schied und Peter Kümmel, der uns vor sieben Monaten verlassen hat. Sie beide hatten schon das Glück, von den Stonewall Riots profitieren zu können und der CSD Frankfurt hatte das Glück, dass sie diese Chance genutzt und weitergeführt haben Ihnen soll der Applaus gelten.
Danke, dass ihr da wart – Ihr wart Bewegung!
Happy Pride!
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