Rede in Römer zum CSD 2017
Seit wann ist Ficken Kunst?
Das fragte ein damaliger Arbeitskollege – ich befand mich gerade in einer Ausbildung – zur Eröffnung des lesbisch-schwulen Kulturhauses im Mai 1991. Und er meinte es nicht freundlich. Das war wohl das erste Mal, dass ich mit Ressentiments gegenüber Schwulen und Lesben konfrontiert war – und ich parierte gut, soweit ich das erinnern kann.
Die Frage aber stellt sich heute fast schon wieder, wenn man die vielen Posts und Anmerkungen liest, die fast angeekelt über eine Demo-Parade geäußert werden, in denen sich – zugegebenermaßen schwule Männer – eben von dieser sexuellen und Lustvollen Seite präsentieren. Aufgetakelt oder auch abgetakelt, sexy, bunt, lebensfroh und, ja, auch sexuell. Die Frage wird heute allerdings eher aus der eigenen Community gestellt. Viele sehen in einer solchen Bloßstellung gar den Untergang der Akzeptanz. Familie, Heiraten, Kinder – das scheint das neue queer zu sein. Aus einem kann wird ein muss, ansonsten, ansonsten ekelt und schämt man sich.
25 Jahre CSD, das bedeutet für jede und jeden eine individuelle Geschichte. Eine Geschichte, die sich nicht an den Motti oder anderen Gegebenheiten festmachen lässt.
Meine Geschichte beginnt 1993, da war von einer Ehe für alle noch nicht die Rede. Es war der zweite CSD, der damals noch anders hieß. Ich lebte das erste Mal von Zuhause weg in einer schwulen WG in Hainburg. Wir gingen auf den CSD und bekamen gleich rosa- oder hellblaufarbene kleine Fähnchen in die Hand gedrückt. Mit denen marschierten wir durch Frankfurt und über die Zeil. Es war recht aufregend, das erste Mal als schwuler Mann für Rechte zu demonstrieren, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie nicht hatte. Ich wuchs glücklicherweise ohne Diskriminierungen auf.
Die weiteren CSDs verschwimmen bei mir etwas – bis 2005. Hier war es eine Kollegin, die auf meine Kritik hin, dass der CSD langweilig sei, meinte: „Da kimmste mal ins Backstage.“ Ich wusste nicht, dass ich es mit einer waschechten Aktivistin zu tun hatte, mit Käthe Fleckenstein. Sie hat mich zum CSD gebracht – und meinen Freund Uwe ebenso. Im ersten Jahr als Gast staunte ich über die Gastfreundschaft, die Herzlichkeit, die in diesem Backstage herrschten. Wir lernten einen heute noch guten Freund kennen und vor allem erlebte ich eine Schweigeminute, die mich nachhaltig beeindruckte. Von vorne schien sie peinlich und unangenehm. Hier im Backstage sah ich weinende Menschen und musste selbst weinen.
Das Jahr darauf war ich nochmals als Gast, dann als Künstler und schließlich als Redner für die Schweigeminute selbst auf dem CSD – Rainer Gütlich fragte mich und für mich war es eine Ehre, ist es noch heute. Rainer übrigens verzog sich während der Schweigeminute immer in seinen Container. Niemand weiß, was er dort tat, aber vermutlich war er da der Mensch, den man außerhalb dieses Containers auf der Konstablerwache nie sah, zumindest ich nicht. Mittlerweile lernte ich Rainer Gütlich besser kennen, wir kochten zusammen, redeten und – gaben ihm Recht. Denn das war das einzige, was ein Rainer Gütlich akzeptierte. Er war auch schlicht zu schlau, als das man so einfach gegen ihn hätte argumentieren können. Sogar er selbst konnte gegen seine Logik selten anrennen, was ihn zwei Jahre später das Leben kostete. Es schien logisch, diesem nun ein Ende zu setzen. Wir konnten nur noch zuschauen, wie man ihn aus seiner Wohnung heraustrug. Das war der Tiefpunkt meiner CSD Erlebnisse. In diesem Jahr erlebten wir einen CSD durch einen Schleier der Trauer und des Versagens – einen Menschen nicht retten gekonnt zu haben.
Der CSD wurde immer schwieriger zu veranstalten. Mit der Ankunft in der Mitte der Gesellschaft, wurde er auch für Sponsoren nicht mehr allzu interessant. Das war er übrigens nie wirklich – entgegen der sogar heute noch teilweise aufkochenden Gerüchte, der CSD sei eine Goldgrube. Für Rainer war er eine Notwendigkeit, an der er keinerlei finanzielle Interessen hegte. Ebenso wenig Anika Pilger, die stets an Rainers Seite war und die die Gütlich Event schon ab 2008 führte und den CSD nach Rainers Tod alleine weiter veranstaltete, bis es eben nicht mehr ging. Und auch dann führte sie den CSD in einen Verein über, um ihm eine neue Obhut zu geben. Ohne ihre Beharrlichkeit gäbe es diesen CSD heute nicht.
Und es gab viele, die uns, dem alten CSD-Team und ihr halfen, die nicht zusehen wollten, wie – zumal zum 20. Mal – kein CSD stattfinden würde. Claudia Bubenheim, Peter Kümmel, Ralf Bareuter, Dirk „Vox“ Schicke und einige spontane Neuzugänge unterstützten den neu gegründeten Verein und sicherten gemeinsam seine weitere Existenz. Mittlerweile gibt es kein alt und kein neu mehr.
Ich begleite den CSD seit 5 Jahren als Pressesprecher, versuche seine Ziele zu formulieren, dem CSD ein – nicht mein – Gesicht zu geben. Das klappt mal gut, mal weniger. Und dann war da noch das vergangene Jahr und der CSD mit seinem angestrebten Schlachtruf Lieb Geil. Es war nicht angenehm, per Pressemitteilung diskreditiert zu werden, mit Einkesselungsdrohungen überzogen und per mail beleidigt zu werden – von den eigenen Leuten, der eigenen Community, die ansonsten, wenn es um Mithilfe ging, eher, na sagen wir mal, zurückhaltend reagierte.
Aber es hat eines gezeigt: Es hat gezeigt, wie verdammt lebendig diese Community sein kann, wenn es ihr wichtig ist. Man mag darüber streiten, ob alles so gut und so optimal abgelaufen ist, aber das tut es selten, wenn Mensch emotional ist. Und insofern war es für mich ein Zeichen, dass wir leben, dass wir Lust auf Diskurs haben und dass diese Community noch lange nicht tot ist, wie es manche schon sehen.
Diese Kommune, in der nur Friede, Freude ist, die gab es nie und die wird es nie geben – allenfalls in verklärten Berichten von Menschen, die selbst nie in einer WG gewohnt haben. Nein, für das gleich einzustehen heißt nicht, immer auch gleicher Meinung sein zu müssen, schon gar nicht über die Vorgehensweise, Dinge zu erreichen.
Letztes Jahr hat Frankfurts Commuity gezeigt, wie lebendig sie ist. Da wurde eben auch mal gehauen uns gestritten, das ein oder andere blaue Auge gesetzt, aber das ist es am Ende doch auch, was politische Arbeit ausmacht. Diese Streitlust sollten wir uns bewahren, zumal wir zukünftig vor weitaus schwierigeren Aufgaben stehen.
Wer hätte vor zwei Tagen, geschweige denn vor 25 Jahren gedacht, das Mutti auch anderen ein Bauchgefühl zugesteht und sie sogar danach abstimmen lassen will. Wohl wissend, dass damit die Ehe für alle besiegelt und ein unangenehmes Wahlkampfthema mal wieder vom Tisch sein wird. Es ist also absehbar, dass die Ehe für alle nun kommt aber es bleiben noch weitere Kämpfe auszufechten, beispielsweise für die Rechte von Trans-Menschen.
Danach aber sind es vor allem die Dinge, die kein Gesetzgeber vorschreiben kann: Respekt und ich will es mal pathetisch ausdrücken: Nächstenliebe. Die allerdings kann man nicht erzwingen, vor allem dann nicht, wenn man nicht selbst bereit ist, sie zu geben und dabei auch eigene Interessen für das große Ganze zurückzustecken oder zumindest abzumildern.
Das ist die nächste, vielleicht größte Herausforderung und sie bedeutet vor allem, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, den anderen nicht trotz, sondern wegen seiner Fehler zu lieben. Ich erlebe derzeit eine Unversöhnlichkeit wegen Kleinigkeiten, falsch gewählter Worte oder nicht gewusster Dinge über den anderen. Wir müssen solchen Unwissenheiten mit Aufklärung und nicht mit Vorwurf begegnen. Wir müssen miteinander streiten – nicht gegeneinander. Die Probleme von Transmenschen beispielsweise sind vielen nicht trans Menschen fremd. Sie kennen Sie nicht oder können sie schwer nachvollziehen. Umso mehr sind wir auf den Input und die Aufklärung durch euch angewiesen, denn ihr könnt am besten erzählen, was ihr braucht.
Und vor allem: Unsere Werte – Respekt und Akzeptanz – dürfen zur Durchsetzung einer politischen Korrektheit nicht geopfert werden. Denn dann werden sie zur Farce. Vielmehr sollten wir zur Versöhnung aufrufen, untereinander wie nach außen.
Diese Herausforderung zu meistern betrifft nicht nur unsere Gemeinschaft, aber unsere Gemeinschaft wird daran gemessen, ob sie das bereit ist zu geben, was sie von anderen erwartet.
Ich wünsche dieser Gemeinschaft, dass sie das schafft, ich wünsche es ihr für sich selbst und für die ganze Welt; denn wenn die Welt etwas braucht, dann starke Gemeinschaften, dann Liebe, dann Versöhnung.
In diesem Sinne lasst uns einen versöhnenden CSD feiern und der Welt zeigen, worum es wirklich geht
Happy Pride.
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