Social media, oder wie facebook aus uns kleine Kinder macht.
Hambacher Forst? Keine Ahnung, was das ist oder wo der ist, aber scheinbar ein wichtiger Wald, der die Gemüter erzürnt. OK, ich überspitze, oder?
Obwohl viele derer, die sich jetzt empören vermutlich nie etwas über diesen Wald je gehört, geschweige denn, ihn je bewandert haben, muss er nun also bleiben. Aus dünner Faktenlage werden Memes gebastelt und Twitterperlen in weißer Schrift auf hellblauem Hintergrund getippt. Oder wahlweise neben dem Konterfei eines eh schon in der Echokammer gemiedenen Politikers vor einen meist aus dem Zusammenhang gerissenen Spruch aus einer früheren Rede gepostet, wenn’s nicht gar ein Fake ist.
Es geht um: Wir gegen den Staat, die Kleinen gegen die Großen, alles Schlampen, außer Mutti.
Das nennen wir dann aufgeklärte Meinungsbildung
Ob Maaßen, ob Hambacher Forst oder sonst irgendein Ereignis, von dem wir ohne die sozialen Medien nie gehört hätten, genauso wie nie jemand unsere Meinung ohne sie je gehört hätte: Wir wollen es jetzt und wir wollen es sofort, egal, was genauere Recherchen ergäben. Das ist unsere neue Art der Bürgerbeteiligung. Weil’s halt auch geht.
Dass man Verträge nicht so einfach aufkündigen kann, dass hierzu eine Bewertung nötig ist. Ach, wurscht doch, die Emotion des Augenblicks zählt und von der gehen wir auch nicht ab, werfen uns auf den Boden vors Kruschelregal am Ausgang von Facebook und schreien, bis wir endlich unsere Likes und Petitionen bekommen haben. Wer Widerworte gibt, wird geshitstormed: Soll sich doch ne andere Echokammer suchen, wenn ihm Verfassungsschutz und Wald nix Wert sind. Basta!
Schnelligkeit vs. Reflexion
Empörung zählt und das kann man auch unmittelbar in der sogenannten Realität beobachten. Da wird gewütet und gestampft – natürlich immer nur die anderen – wenn mal was nicht so läuft, wie wir das in unserem infantilen Klein-Klein vorgestellt haben.
Es geht nicht darum, ob man über Maaßen oder Hambacher Forst diskutieren muss. Klar muss man. Es geht um die Art und Weise, wie wir das mittlerweile tun. Wir treiben Politik und mittlerweile auch Presse vor uns her und wundern uns dann, dass alle nur noch getrieben sind und schlechte Politik und Presse machen.
Wir sind oft selbst damit überfordert, unsere Bedürfnisse zu reflektieren und zu begründen und entwerfen dann Petitionen gegen Politiker, die dies aus eben diesen Gründen auch nicht mehr tun können.
Der nächste Maaßen kommt bestimmt
Hans-Joachim Maaz beschreibt es in seinem Buch „Das falsche Leben“ so: „Das Lamentieren und Protestieren aus der Unzufriedenheit des falschen Lebens dient der nie an ein Ende gelangende Abreaktion aufgestauter Affekte, ohne wirkliche Entspannung und reale Verbesserung zu erreichen oder Verhaltensänderung anzustreben.“
Ehrlicher Protest braucht Wissen über die Dinge und vor allem auch Zeit, und Politik braucht sie auch, um den Protest aufzunehmen und umzusetzen – bei aller Kritik, die man übern darf und muss. Aber diese Zeit haben wir alle nicht mehr, schon gar nicht in den sozialen Medien.
Die Zeit drängt: Ich will, und zwar sofort. Bis der nächste Hambacher Forst auf die Bildfläche kommt oder der nächste Verfassungsschützer irgendwas in irgendeine Kamera dahinredet, ohne zu bedenken, dass es zwei Minuten später im Netz zu sehen ist, hochgeladen von gehetzten Journalisten und Journalistinnen, denen auch die Zeit davonläuft. Der nächste Maaßen steht nämlich schon hinterm Baum im nächsten Hambacher Forst und ist nur noch nicht gesichtet.
Nachtrag
Die FAZ titelt am 20.09.2018 , dass Jens Spahn möchte, dass die Pflegekräfte mehr arbeiten sollen. Nettes Clickbaiting. Genau gesagt hat er bemerkt, dass viele Pflegekräfte ihre Stunden aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen reduzierten und dieser Trend durch bessere Arbeitsbedingungen evtl. aufgehoben werden könnte. Damit, dass weniger Pflegekräfte die Arbeitszeit reduzierten könnte man Zeit gewinnen. So wie es hier beschrieben wird, ist es aus einem Zusammenhang gerissen, der m.E. aber notwendig ist, die eigentliche Aussage zu verstehen. Und schwupps macht die heute Show (Achtung: Satire, die darf alles) einen beleidigenden Post zum Thema und zum Minister. Ich bin ja nun auch kein ausgewiesener Spahn-Fan, aber wir müssen uns doch auch endlich mal fragen, was diese ganze unreflektierte Posterei und Aufregerei eigentlich bringt und ob es realistisch eine Situation gäbe, in der wir damit aufhörten – oder ist sie mittlerweile nur noch Selbstzweck?
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