Zukunft braucht Gemeinschaft
Es klingt verwunderlich, wenn Politik und Gesellschaft über die Zeit diskutieren, in der die Zahl der “Alten” die der “Jungen” übersteigt, und spätestens dann der Generationenvertrag wohl gar nicht mehr taugt.
Schon jetzt schauen wir uns verzweifelt die nicht enden wollenden Berichte über wundgelegene Menschen an, deren Vergangenheit und der in ihr erbrachte menschliche Leistung (die alleine schon damit erbracht sein sollte, dass sie gelebt, geliebt, gelitten und gefeiert haben) nichts mehr zählen, sondern die einzig daran bemessen wird, was sie, die Alten, jetzt noch können. Und das ist unter Umständen freilich mäßig – ganz im Sinne einer Gesellschaft der Leistungsfähigen und Tüchtigen.
Das Ende der Familie ist der Anfang der Gemeinschaft
Die, die heute darüber reden, das sind zum Einen auch die nächsten “Lieben” dieser Menschen, die zwar nicht müde werden, Missstände zu verurteilen, am Ende aber auch keine Zeit, keine Lust, keine Kapazitäten aufbringen können, wollen, den Missstand zu beheben, indem sie die Pflege eben selbst in die Hand nehmen.
Wer will es ihnen auch verübeln, in Zeiten, in denen die Großfamilie längst nicht mehr existiert und kleine Familien auch nicht länger halten als die Pubertät ihrer Kinder oder die nächste Stufe auf der Karriereleiter der Eltern. Die sollen heutzutage beide malochen, bekommen dafür selbstredend auch einen einklagbaren Kitaplatz und alles andere sei ja achtziger – an dieser Stelle käme bei Kerner nun noch einmal Frau Herman zu Wort. Die interessierte sich zwischenzeitlich aber ja auch mehr für Autobahnen, denn für wirklich fortschrittliche Gemeinschaftsmodelle.
Gegen all das ist am Ende auch 1. Einwand zwecklos, weil er 2. zu keinem Ergebnis führt. Die Welt dreht sich und wir mit ihr, sollte man wenigstens meinen.
Ich bin nicht ich
Noch seltsamer ist, dass die Menschen, über die wir reden und von denen wir heute nicht wissen, was wir mit ihnen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten anfangen sollen, für die wir Preis- und Berechnungsmodelle aufstellen, wohl wissend, dass sie nichts bringen werden, weil man Menschlichkeit eben nicht kaufen kann, viel spannender also ist, dass wir selbst diese Menschen sind, über die wir verzweifelt sprechen, weil wir Angst um uns, also um sie haben. Wir werden die Generation sein, die sich nach dem Willen der heutigen Meinungsbildner in einem Pflegegau befinden wird.
Diese Abspaltung unseres jetzigen Ich von unserem zukünftigen ist da nur konsequent und vermutlich der letzte Schritt in der Kette der Abspaltungen – von der Umwelt, von unseren Mitmenschen und nun also auch von uns selbst.
Die Renaissance der Familienpackung?
Ja, wir haben uns vor langer Zeit dazu entschieden, Individualisten zu sein. Dazu sind wir erzogen und dazu wollen uns (vielleicht sogar) Politik und Wirtschaft machen. Zwei Singlebrote erwirtschaften eben mehr als ein Familienbrot und ein Einzelner lässt sich besser überzeugen als zwei, die sich geeinigt und bestärkt haben. Doch auch hier keine Verschwörungen bitte. Die Entscheidung liegt bei uns, bei Dir, bei mir, bei Ihnen, bei jedem einzelnen.
Wir leiden unter diesem Alleinsein, knabbern an unserem Singlebrot wie die Gläubigen am Leib Christi und glauben, es toll finden zu müssen, so frei, so unbefangen und so flexibel zu sein. Unterhaltung bekommen wir in den social medias, hochpreisigen Singlebörsen und beim Speed-Dating. Da kriegen wir auch den deutlichen Hinweis, dass Partnerschaft und Gemeinschaft Dinglichkeiten sind, die messbar und aus dem Knabberregal am Supermarkt erhältlich sind. Das nehmen wir noch mal schnell mit in den Einkaufswagen, für mehr reicht die Zeit leider nicht.
Wir wissen, dass das Unsinn ist, dass Gemeinschaft und schon gar nicht Gemeinsamkeit so leicht zu haben sind. Sie brauchen Kraft, vor allem Zeit und sind dafür zu 100% selbstbelohnend.
Und wir wissen auch, dass wir Wesen sind, die sich ohne die anderen niemals hätten entwickeln können, dass unser Gehirn ein ausschließlich soziales Organ ist, das vom Abkupfern lebt. Diejenigen, die es schaffen, sozial zu bleiben oder zu werden, werden in Zeiten des vielzitierten (übrigens von Darwin nie gesagten und schon gar nicht so gemeinten) “survival of the fittest” (was soviel bedeutet wie “Überleben des Anpassungsfähigsten”) tatsächlich überleben, mehr noch, sie werden erleben, wie unfassbar spannend es ist, wenn sie den Anderen verstanden haben und feststellen, dass da mehr Gemeinsamkeit als Trennendes ist.
Für alles andere gibt’s die Kreditkarte
Ergo, wer in die Währung Respekt und Gemeinschaft investiert, eine Währung übrigens, mit der sich schwerlich spekulieren lässt, der mag sich dann auch um die Riesters dieser Welt nicht mehr kümmern müssen, weil er von einem dickeren als dem Finanzpolster getragen werden wird. Denn anders als alle materiellen Werte dieser Welt, sind die kulturellen Werte per Definitionem soft, beständig und lassen sich von den Profiteuren der Geldwirtschaft auch nicht in ihren Computern erfassen, handeln oder weitergeben.
Die Entdeckung der Gemeinschaft und der Gemeinsamkeit, dieses Gefühl, das sich einstellt, wenn man eben jene zwischenmenschlichen Dinge entdeckt, die sind dann allerdings auch wieder ganz individuell.
Bild: Closeup: Business men shaking hands over a deal – © Yuri Arcurs – Fotolia.com
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