Frei.Tod. Jenseits des Lebens
Wir haben ein Recht zu Leben, aber keine Pflicht
Wem das Leben gegeben wurde, der sollte es sich auch nehmen dürfen oder, wie es ein Freund in seinem Abschiedsbrief formulierte, wir haben ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht. Ist das so?
Endlich entbrennt eine Debatte darüber, die natürlich, anders als bei anderen, weniger existenziellen Themen, vor allem von einem geprägt ist: Von Ängsten. Und wahrlich ist der Tod kein einfaches Thema, denn er bedeutet ja immerhin unser Ende, zumindest unser vorläufiges – das variiert je nach Glauben.
Die Debatte aber zielt freilich auf anderes ab, unter anderem auf den Missbrauch – sozialverträgliches Frühableben wird befürchtet. Menschen die sich nicht etwa an die Sterbehilfe wenden, weil sie krank sind und eh sterben müssen, sondern, weil sie lebensmüde sind, sich nicht mehr gebraucht fühlen und dem nutzlosen, einsamen Dahinvegetieren ein Ende bereiten wollen. das sei, so die Gegner, ja nicht im Sinne der Erfinder.
Warten auf den Tod
Und auch bei vermeintlich schmerzhaften Lebensenden sei der freie Tod kein Grund, denn hier habe doch die Palliativmedizin Lösungen am Start. Ich selbst habe nun nicht allzu viele Menschen sterben sehen. Mein Vater war einer von ihnen und, sicher, der hatte die letzten Monate keine Schmerzen mehr. Allerdings hatte er auch sonst nichts mehr, außer einem Höhenverstellbaren Bett, dauernden Schmerzmittelgaben und Rumliegen, bis der Tod dann eintrat.
Ich weiß nicht, ob er sich gequält hat, zumindest hat er durchgehalten, bis sein Körper ihn dann erlöste. Gesagt hat er nichts, weil er es aber auch nicht mehr konnte. Hätte man ihn vorher gefragt, hätte er es vielleicht anders entschieden. Ich weiß es nicht und Ärzte wissen es eben auch nicht.
Bei meinem Freund war es anders gelagert. Er verlor mit 49 endgültig seine Lust am Leben, warum auch immer und wie auch immer. Seine logische Schlussfolgerung (so war er) war der Freitod. Gut geplant, wie alles, was er tat. Menschen, die einfach nicht mehr wollen, deshalb gleich als depressiv abzustempeln, darauf kommen dann wohl auch nur die Psychotherapeuten und Ärzte, die nicht viel mehr als ihre pathozentrische Sicht im Repertoire haben.
Bring die Omma umme Ecke
Wie soll der Missbrauch denn aber aussehen? Omma wird im stillen Kämmerchen umme Ecke gebracht? ich kann mich täuschen, aber ich dachte, das wäre strafrechtlich auch nach der Verabschiedung eines Gesetzes zur Sterbehilfe verboten. Oder gar Opa zum sterben zwingen, Ärzte und Therapeuten bestechen, um den gewünschten Tod zu bestätigen? Wer solch eine kriminelle Energie aufbringt, der ist wohl auch durch Gesetze nicht zu halten.
Viel wichtiger ist dann schon die Debatte darüber, dass Menschen sich aus dem Leben befördern wollen, bzw. sich unter Druck gesetzt fühlen, dies tun zu müssen, weil sie sich nutzlos fühlen. Und das, obwohl man ihnen den abhanden gekommenen Spaß, dessentwegen sie keine Lust mehr auf Leben haben, doch wiederbringen könnte.
Dazu muss man zwar nur mal eben kurz eine konsum- und gewinnorientierte Gesellschaft wieder auf humane Werte einstimmen, aber wenns sonst nichts ist. Da sehe ich unsere Regierung und die ihnen unterstellten MitbürgerInnen gerade nicht in der Stimmung.
Genau hier liegt dann auch das Bigotte an der Debatte, die zumal von einer Regierung (gleich wo auf dieser Welt) geführt wird, die sich mehr denn je von marktwirtschaftlichen Prämissen und deren Redensführer beeinflussen und lenken lässt, teils ja sogar in deren Gremien sitzt oder spätestens nach dem Ausscheiden aus den politischen Ämtern dort hineingerät.
Die (wie wir) hätten eben gerne glückliche Menschen, die bis ins hohe Alter selbstbestimmt leben und (ganz wichtig) arbeiten dürfen (nein, nicht sollen oder müssen) und dann, ganz spirituell, ihren Tod selbst bestimmen und selbstbestimmt mit einem Lächeln auf den Lippen entschlummern.
Wir haben es in der Hand
Das aber ist eben nicht die Realität. Die Realität ist, dass sich ältere Menschen nicht nur nutzlos fühlen, sondern nach unseren derzeitigen Maßstäben schlicht und einfach nutzlos sind. Da kann man nun freilich jetzt aufschreiben und so tun, als sei man der letzte Mensch, der das anders sieht und sich, viel wichtiger, auch anders verhält. Am Ende aber ist es eben diese Gesellschaft, in der wir derzeit, vielmals selbstbestimmt und an den Umständen durchaus nicht unbeteiligt, leben. Wir investieren unser Geld lieber in neue Autos, Häuser und Geldwetten, als in die Pflege von Menschen. Das ist nicht gut oder schlecht, sondern es ist faktisch eine getroffene und durchgeführte Entscheidung, der die meisten zustimmen, zumindest nicht widersprechen oder zuwiderhandeln.
Wenn sich Menschen dessentwegen umbringen wollen, dann hilft es wenig, ein Gesetz zu verbieten, das dies ermöglicht. Es hülfe viel mehr, die Umstände zu beseitigen, die die Möglichkeiten, die ein solches Gesetz bietet, obsolet machen würden. Dafür aber fehlt uns, sind wir ehrlich, zumindest derzeit der Mut, der Wille und vermutlich auch die Phantasie.
Schlussendlich aber geht es in dieser Debatte gar nicht so sehr darum, wie wir sterben wollen und dürfen. Das sollte tatsächlich jedem und jeder freigestellt werden, bei aller Sorgfalt, vor allem menschlicher. Nein, beim Thema Sterbehilfe geht es für mich vor allem darum, wie wir leben wollen, und darüber lohnt eine Diskussion allemal. Immer wieder.
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