Kundenterror – Terrorkunde oder: bei Anruf Service?!

Keine Frage: die Möglichkeiten, Geld zu verdienen sind stets des einen Freud und gleichzeitig des anderen Leid und wir Menschen neigen dazu, alles, was dem anderen dienlich ist und uns stört, als schlecht zu bezeichnen – bis wir selbst in die Situation kommen, es zu tun.

Callcenter gehören zweifelsohne zur „Pest“ des 20. Und 21. Jahrhunderts, wenn man der „breiten Bevölkerung“ glaubt, die in entsprechenden medialen Aufbereitungen zu diesem Thema gerne an Hand von zwei oder drei Fällen skizziert wird. Wer sieht nicht gerne die minutenlangen Berichte über irgendeinen armen Kunden, der versucht, zu seinem Recht zu kommen. Dieser Weg führt meistens über ein Callcenter und meistens ist er erfolglos oder zumindest holprig.

Terrorkunde

Doch der Kundenterror, der besonders bei ungebetenen Anrufen empfunden wird schlägt schnell im Auftauchen von Terrorkunden um, die gleichsam, so scheint es, ihr problematisches Leben an einer Servicehotline aufzuarbeiten versuchen. Hier geht es dann sehr schnell nicht mehr um sachliche oder fachliche Probleme, die zu Lösen versucht werden, sondern um Em- und Befindlichkeiten, die am Call-Agent ausgelassen werden.

Das ist nicht zuletzt auf häufig gar nicht oder schlecht stattfindende Ausbildung dieser Call-Agents zurückzuführen, die statt der erhofften Hilfe nur ein Weiterverbinden, ein Eintragen des Problems in für den Kunden nicht nachvollziehbare Ticket-Systeme oder ein schlichtes „Das weiß ich nicht“ anzubieten haben. Hinzu kommen von Unternehmensseite verlangte Gruß- und Verabschiedungsformeln, Sprachregelungen und Handlungsanweisungen, die komplett am Kundenbegehren vorbeilaufen.

Fade Sprachregelungen und Erklärungsnotstand

Wie sollten Sie auch funktionieren? Werden Sie doch zumeist von „Profis“ erstellt, die selbst höchstens Ihre Familie vom Firmentelefon aus anrufen oder von bekannten Geschäftspartnern angerufen werden. Und schließlich darf Service nichts kosten. Damit knüpft die Branche an die generelle Gewohnheit an, dass soziale Leistungen chronisch unterbezahlt werden, während Gehälter an anderer (produktiverer) Stelle vergleichsweise hoch sind.

Wer ein Auto entwerfen kann bekommt eben mehr Geld als derjenige, der einen alten Menschen in Würde auf seinem letzten Weg begleitet. Auch wenn jeder darüber meckert, so herrscht letztendlich über diese Entwicklung eine gewisse Einigkeit, denn: wer will statt des neuen Autos schon das dafür vorgesehene Geld für Omas Pflege ausgeben? Sind wir ehrlich: die wenigsten!

Und so scheint sich eine Front aufzubauen, nämlich die zwischen Unternehmen, die Ihre Produkte auf Teufel komm´ raus an den Kunden bringen wollen, Kunden, die gar keine sein wollen, und solchen, die Service mit Therapie verwechseln. Zwischendrin sitzt der Call-Agent. Und der kann es in der Regel keinem Recht machen: für das Unternehmen produziert er Kosten, ohne dabei Geld zu verdienen, da er nichts (anfassbares) produziert und für den Kunden kostet er Geld, ohne dass er den entsprechenden Service bietet oder zumindest das, was diesen Namen verdiente.

Der Druck wächst

Besonders in den letzten Jahren wächst der Druck auf den Call-Agent, denn der Kunde sieht in großen Unternehmen mit all seinen Managern sowieso nur noch die Abzocker, die viel Geld verdienen und dafür wenig ausgeben wollen. Recht haben Sie, zumindest was den Service und das dafür oft bemühte Call-Center angeht. Doch darunter leidet eben nicht nur der Kunde, sondern auch der Servicemitarbeiter und schnell baut sich eine Front auf, die es doch ursprünglich abzubauen galt. So erhoffte man sich den für den Gewinn so wichtigen Kundenkontakt, der in diesen Schaltzentralen der Kommunikation entstehen sollte.

Daraus wurde jetzt erst einmal nichts, denn Call-Center sind heute ein von beiden Seiten empfundenes notwendiges Übel, eine Firewall sozusagen, die einerseits das Eindringen des Kunden in das Unternehmen weitgehend verhindern soll und andererseits gewünschte Informationen in nutzlose Sprachregelungen übersetzt, um dem Kunden die grausame Wahrheit zu ersparen, nämlich die, dass man ihm ungerne hilft, zumal dann nicht, wenn weitere Kosten entstehen. Am Ende bleiben beide Seiten hilflos, wütend und genervt zurück.

Sicher ist das nur die eine Seite. Die andere Seite zeigt zufriedene Kunden und Call-Agents mit dem Gefühl, geholfen zu haben oder geholfen worden zu sein. Doch, ganz ehrlich, dieses Bild ist ein eher weniger verbreitetes.

Anforderung versus Bezahlung

Ein weiteres, nicht nur aber besonders in diesem Berufsbild anzutreffendes Phänomen ist die Bezahlung im Verhältnis zur Anforderung. Die nämlich steht – für mein Dafürhalten – in einem steten Missverhältnis. Die Anforderungen an einen Call-Center-Agenten bestehen bei weitem nicht nur darin, ein meist komplexes Themengebiet dem Kunden verständlich zu machen, seltsame Workflows zu erklären, die eingehalten werden müssen und in diesem Zuge unter Umständen unangehme Nachrichten (die verpasste Kündigungsfrist, die zu einer erneuten Laufzeitverlänerung führt) zu übermitteln.

Vielmehr verbirgt sich hinter jedem Telefonat ein neuer Mensch, eine Stimmung, eine ganze Welt, auf die sich ein Call-Agent innerhalb Sekunden einzustellen hat, während die Kunden dafür oftmals einen langen Anlauf nehmen, um dann die ganze Wucht binnen Sekunden durchs Telefon zu jagen. Doch auch wenn der erwartete Angriff auf Grund tatsächlicher oder allgemeiner Unzufriedenheiten ausbleibt, schwappt bei jedem Telefonat die Stimmung des anderen rüber, stllschweigend davon ausgehend, dass der oder die am anderen Ende damit umgehen kann und auch muss – denn schließlich bezahlt man ja für diesen Service.

Solchen Anforderungen auf längere Zeit standzuhalten erfordert nicht nur ein gerüttelt Maß an Reflexionsvermögen und Intelligenz, es erfordert Kommunikationsgeschick, Empathie, Ruhe und Gelassenheit und all das, während komplizierte Computerprogramme bedient werden müssen, um das Gespräch in die digitale Form des Unternehmens einzugeben. An anderer Stelle bezahlt man für Menschen mit solchen Eigenschaften viel Geld. Für Karriereförderer wären Call-Center ein Eldorado an guten Gelegenheiten, ließe man Sie rein.

Ein grundsätzliches Missverständnis

Es hat sich ein grundsätzliches Missverständnis auf beiden Seiten, rechts und links der Call-Agent-Tätigkeit eingeschlichen. Auf Seiten der Unternehmen ist es der Glaube, jedwede Kommnikation und jede Problematik ließe sich von oder durch ein Call-Center regeln, in Ticketsysteme pressen und nach sturen Regeln bewerstelligen.

Doch ein noch viel gravierenders Missverständnis hat sich Bahn geschlagen, nämlich dass ein Call-Center zu nichts anderem gut ist, als Kundenprobleme zu lösen. Selten habe ich es erlebt, dass ein Unternehmen das Wissen, dass sich so direkt am Kunden, an der vordersten Front sozusagen sammelt, abzufragen, in kurzen schriftlichen Zusammenfassungen, in Gesprächen oder regelmäßigen Zusammentreffen. Hier gehen wahre Schätze verloren und die Chance, den direkten Draht zum Kunden zu nutzen. Vor allem geht die Chance verloren, den Mitarbeiern und Mitarbeiterinnen, die eine wirkliche Schwerarbeit leisten, die Anerkennung zukommen zu lassen, die ihnen gebührte.

Auf Seiten der Kunden ist es die Forderung, jeden Wunsch erfüllen und jede Stimmung ertragen zu müssen. Verständlich ist dieser Wunsch durchaus, der Umgang mit denjenigen, die ihre Probleme zu lösen versuchen, ist nicht immer aber auch nicht selten unverständlich. Im großen und Ganzen aber tragen die Unternehmen selbst zu diesen Umständen bei, indem Sie ihren Problemlösern keine Problemlösungen an die Hand geben, außer teils unerträglichen Sprachregelungen (sieh weiter oben).

Geht´s auch besser?

Stellt sich die Frage, was man verbessern kann und wie aus einem Call-Center dann doch noch die ihm ursprünglich zugedachte Aufgabe der Kommunikationszentrale im besten Sinne werden kann? Und diese Frage ist wichtig, denn darum soll es doch in dieser Welt generell gehen: wie kann man die Dinge besser machen? Wie immer ist es eine gemeinschaftliche Aufgabe, denn es geht letzten Endes immer um diese Gemeinsamkeit, den Umgang miteinander, das Ausspielen von besseren Karten, das Anwenden von Macht, das Kompensieren von Machtlosigkeit und das Erkennen, dass es hintergründig eben darum geht.

So lange wir das Kunden-Dienstleister-Spiel spielen, wird sich nichts ändern – das gilt im übrigen auch für andere Spiele, gerne auch genommen, das Arzt-Patienten-Spiel oder das Chef-Mitarbeiter-Spiel. Nein, wir müssen erwachsen werden, aufhören unsere infantilen Nöte bis zum Tod durchzuspielen, statt uns endlich von Ihnen zu lösen. Wir Kunden müssen aufhören, Heilung für unsere Schmerzen an einer technischen oder kaufmännischen Hotline zu suchen und wir Unternehmer müssen aufhören, uns ängstlich hinter einem Call-Center zu verstecken, dabei eine Chance.

Es gibt keine dummen Agenten

Und was ist mit denen, die sich stets – teils rund um die Uhr – um Service und eine gute Kommunikation bemühen, die auch gerne besser würden, gäbe man ihnen eine realistische Chance auf fachliches, persönliches und auch monetäres Wachstum? Nochmal: Die müssen aufhören so zu tun, als könnte jede und jeder in einem Call-Center arbeiten. Das Gegenteil ist der Fall: Wer sich mehrere Stunden am Tag alle drei bis zehn Minuten auf neue Gespräche einstellen muss, neue Stimmungen, neue Menschen und neue Probleme, diese Probleme bestenfalls ad hoc, also in Echtzeit lösen soll und dabei auch noch stets freundlich zu sein hat, der und die ist nicht dumm.  Hier hat man es mit intelligenten Menschen zu tun, die, wären sie es nicht, dieses Arbeitspensum gar nicht leisten könnten.

Fazit: Wir machen uns das Leben so, wie wir derzeit mit diesem Thema verfahren, schwer, so unnötig schwer, weil alle Parteien kämpfen. Unternehmen gegen Kunden, Kunden gegen Unternehmen und das Call-Center ist die Arena dieser Kämpfe, die Call-Center Agenten nicht selten die Sandsäcke, auf die beide Parteien eindreschen. Unproduktiv (im Sinne des Wortes) und kostenintensiv (im Sinne von unrentabel) allerdings sind nicht die Call-Center und ihre Mitarbeiter.  – Die könnten sowohl (zufriedene Kunden) produzieren, als auch sich (durch Generierung wichtiger Informationen) rentieren. Unproduktiv und kostenintensiv sind die, die Call-Center zu dem degradieren, was sie nicht sein müssten.

Vielleicht sollte man für die mal eine Hotline einrichten?!

 

Der Autor hat 1990 angefangen, im Telemarketing zu arbeiten, zu einer Zeit, da es noch keine Call-Center gab, sondern ambitionierte Telefonisten und Unternehmer. 1992 kam er dann in ein firmeneigenes Call-Center und verkaufte Computer und Zubehör (286er, 386er und 486er, wer sich erinnern mag). Es folgte der Telefonverkauf in einer der drei (damals) großen Autovermietung (1993 - 1995) und anschließend das Firmenkundencenter eines großen Automobilherstellers (1995 - 1996), um unter anderem Probefahrten für Händler zu verkaufen und zu organisieren. 1997 bis 1999 war er einer der ersten die "herzlich willkommen bei Mannesmann Arcor" ins Telefon sprachen (heute Vodafon) und manch kryptisches Gespräch nicht deutschsprachiger Call-by-Call-Kunden zu bewältigen hatte (wobei das nicht die unangenehmsten waren). 1999 bis 2000 verdingte er sich als Researcher in Personalberatungen und spielte seinem Gegenüber die skurillsten Figuren und Geschichten vor, nur um an die Namen derer zu kommen, die später abgeworben werden sollten. Im Jahre 2000 wurde er als Projektleiter in einem freien Call-Center tätig und beeendete diese Anstellung freiwillig im Jahr 2001. Danach folgten Arbeiten im Kommunikationbereich (ein deutscher und ein schwedischer Telefonriese) und schließlich die Betreuung geneigter Leser einer großen deutschen Tageszeitung. Nebenbei schult er heute Menschen zu psychologischen Themen und Stressbewältigung in Unternehmen.
Foto: Moni Harling, Joachim Letschert in "Der Gott des Gemetzels"
1 Kommentar
  1. Joachim ebi
    Joachim ebi sagte:

    Habe mit Intresse fest gestellt das es genau so ist, aber wer kann es änder und vorallen wie kann man es änder das die Menschen nicht immer Denken ich bin besser als du und schlauer als du und ich zocke dich ab und du merkst es ja gar nicht.

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